Statuten

September 20, 2016

Siehe auch PDF Statuten

Liebe Mitglieder, Liebe Gönnerinnen und Gönner 
Liebe Freunde der IG „Fair-wahrt?“
Sehr geehrte Damen und Herren

Statutenänderung – Stimmrecht für inhaftierte Mitglieder!

Derzeit wird ein Entwurf für die Anpassung der Statuten unseres Fördervereins einer letzten Prüfung unterzogen. An der nächsten Hauptversammlung (HV) möchten wir die definitive Neuversion gleich zu Beginn zur Abstimmung bringen.

Im Wesentlichen sollen neu alle unsere inhaftierten Mitglieder zumindest für wesentliche Vereinsentscheide brieflich stimmberechtigt werden (umständehalber jedoch nicht wahlbereichtigt). Angesicht einerseits von Unsicherheiten hinsichtlich den Bestimmungen in den jeweiligen Anstalten und andererseits aufgrund noch immer begrenzter Kapazitäten bei den aktiven Vorstandsmitgliedern werden dabei gewisse Vorbehalte wohl nicht zu vermeiden sein. Wir werden aber bemüht sein, uns auf solche nicht ohne Not und besonders nicht bei allfälligen Entscheidungen von grosser Tragweite berufen zu müssen.

Wir sind zuversichtlich, dass die neuen Statuten angenommen und somit direkt gültig werden. Vorsorglich für diesen Fall planen wir, allfällige weitere, frühzeitig für die nächste HV traktandierte Sachgeschäfte schon im Voraus unseren inhaftierten Mitgliedern zur ersten brieflichen Stimmbeteiligung zu unterbreiten. Wir würden diesen also möglichst frühzeitig entsprechende Informationen samt Stimmzettel versenden.

Alle inhaftierten Mitglieder hiessen dann neu „Betroffene Mitglieder“, wobei der bisher geltende Jahresbeitrag unverändert bliebe. Ihr Sonderstatus soll gemäss Statuten auch noch bis zu einem Jahr nach einer Haftentlassung gültig bleiben. Dann oder schon früher bliebe selbstverständlich die Option einer Umwandlung in eine „Aktiv-“ oder wieder in eine „Passivmitgliedschaft“.

5 Jahre IG „Fair-wahrt?“ und 4 Jahre Förderverein

Hierzu entstand unlängst eine Übersicht über die Gründung, den Verlauf und die Zukunftshoffnungen unserer Bemühungen. Er liegt diesem Rundschreiben bei.
Wieder möchten wir Allen für die Treue und Unterstützung in welcher Form auch immer, herzlich danken!

Beat Meier

ACHTUNG Aktivmitglieder und Gäste:

NÄCHSTE HAUPTVERSAMMLUNG: 6. Februar 2017 abends (Zürich oder Region) Bitte reservieren!
– Adresse, Traktanden und weitere Details folgen.

Interessengemeinschaft „Fair-wahrt?“ (IG-Fw) – seit Mai 2011
und Förderverein der IG-Fw – seit April 2012

5 JAHRE IG „Fair-wahrt?“ –    4    JAHRE    FÖRDERVEREIN

Motivation für die Gründung

2011, nach ca. 18 Jahren Haft, hatte die höchste Instanz ein Obergerichtsurteil durchgewunken, welches meine unverändert weitere Verwahrung gutgeheissen hatte. Gemäss neuem Gesetz vom 1.1.2007.

Nach vier divergierenden Gutachten hatte nun das bislang Letzte jegliche davor diagnostizierte Persönlichkeitsstörung verneint und nicht weniger als die Entlassung aus der Verwahrung empfohlen. Der Gutachter, Chef der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, stand damals kurz vor seiner Pensionierung (ich übrigens auch).

Ich sollte nun auf Antrag der Vollzugsbehörde in eine offene Anstalt verlegt werden, mit Urlauben und baldiger Aussicht auf bedingte Entlassung. Doch die Ostschweizerische Fachkommission verweigerte all dies und wollte die unveränderte weitere Verwahrung ohne Vollzugslockerungen. Dem schlossen sich sowohl die Vollzugsbehörde wie auch sämtliche weiteren Instanzen an.

Dass diverse davor als „besonders günstig und stützend gegen das Restrisiko“ bezeichnete Fakten (wie etwa „das gute, grosse vorhandene soziale Netzwerk“) nun von derselben Behörde plötzlich völlig gegenteilig bewertet wurden, raubte mir den letzten Rest an Vertrauen in die Justiz. Weiter endlos in Strafhaft – als Verwahrter…?

Allzu lange und allzu oft hatte ich nun immer wieder ähnlich unbegreifliche und schlicht unfaire Entscheide seitens Justizbehörden erlebt. Und dies nicht allein in meinem Verfahren. Über die Jahre wurden mir von Gefangenen Dutzende Vollzugsdossiers hilfesuchend zur Lektüre gegeben. Häufig zeugten sie von schlicht nicht nachvollziehbarem Uminterpretieren, Verdrehen und Verbiegen von eigentlich an sich überzeugenden Fakten und Ausgangslagen. Da schien es nur noch darum zu gehen, ein einziges längst vorgefasstes (oder gar von höherer Stelle vorgegebenes?) Ziel irgendwie zu begründen: das (weitere) möglichst permanente Wegsperren, zweitrangig ob einer nun wirklich als gefährlich gelten musste oder nicht.

Immer wieder beteuerten auch Mitgefangene, was ich selber schon zuhauf in Gutachten oder PPD-Berichten lesen musste: Es wurde häufig einfach schamlos gelogen. In Gutachten und Therapieberichten wurden dem Gefangenen Worte in den Mund gelegt, die er entweder nie, oder gar genau im gegenteiligen Sinne gesagt hatte.

Vergeblich forderte ich früher schon und tut dies öffentlich auch die IG-Fw: dass solche Gespräche aufgezeichnet oder zumindest protokolliert und dem Gefangenen zur Gegenzeichnung vorgelegt werden, besonders wenn sie für Beurteilungen und Gutachten massgeblich sind. Wie dies ja bei jeder Einvernahme in Ermittlungsverfahren geschieht, wo das Ausgesagte oft längst nicht derart folgenschwere Konsequenzen zeitigt wie bei einem Gefährlichkeitsgutachten mit Verwahrungspotenzial.

Nachdem dann das Bundesgericht diesen katastrophalen Verwahrungsüberprüfungsentscheid durchwinkte (die sogenannt „obligatorische jährliche Überprüfung“ kann leicht drei Jahre dauern), sah ich nur noch die Wahl zwischen dem Gang an die Öffentlichkeit, oder mich schlussendlich gänzlich aufzugeben.

Hürden

Seit mehr als zwei Jahrzehnten hetzte die Boulevardpresse gegen mich und Alles und fast Alle, für das und die ich mich engagierte und welche dabei mit mir verbunden waren. So litt meinetwegen schon der Verein „Verding- und Heimkinder suchen ihre Spur“ (2004-2007) darunter, für den ich mich seit der Gründung sehr einsetzte (ich war selber Heim- und Verdingbub bis zum 20. Lebensjahr und führte nun aus meiner Pöschwies-Zelle heraus dessen Sekretariat und erstellte und gab für ihn Bulletins heraus etc.). Die üblen öffentlichen Verleumdungen trafen auch diesen Verein hart und trugen zu dessen Auflösung bei.

Ich wusste also, dass ich allein keine echte Chance hatte. Betroffene müssten sich zusammentun. Um damit aber überzeugend aufzutreten, war ich der Falsche. Doch es gab keinen anderen, willigen Kandidaten als ‚Frontmann‘. So raufte ich mich zusammen, in der Hoffnung, mit der Zeit besser geeignete Mitverwahrte dafür zu finden. Leider blieb die diesbezügliche Suche trotz aller Bemühungen hierfür bis zum Datum dieses Berichts erfolglos.

Vergeblich beantragte ich nun bei der Strafanstaltsleitung die Weglassung meines Namens in der Anschrift für IG-Fw-Korrespondenz. Obwohl ich seit der Gründung der IG-Fw möglichst direkten Kontakt mit Medien vermied, wurde durch neuerliche Hetzartikel auch diese in Mitleidenschaft gezogen und meine Tätigkeiten darin massiv diffamiert. Viele distanzierten sich dann wieder von uns.

Natürlich war die IG-Fw von Anfang an hier umständehalber ziemlich eingeschränkt. Besuche, Telefonate begrenzt, kein Internet, öfters zusätzliche, unnötige Hürden bei der Arbeit in und aus der Haft heraus. Obwohl nach Gesetz Verwahrte nicht in Strafhaft sein dürften.

Die Gründungsmitglieder

Die weiteren Gründungsmitglieder (Initialen im grünen IG-Fw-Flyer) standen mir moralisch bei, konnten (und teils mochten) aber so gut wie keine Hilfe leisten. Zwei von ihnen sind mittlerweile verstorben, einer davon in Haft, bzw. kurz nach seiner Einweisung ins Spital.

Der andere verstarb einsam in seiner kleinen Wohnung in Zürich.

Er war selber einst ein Verdingkind, war später als angeblich gefährlich verwahrt worden und lebte seit seiner Entlassung viele Jahre völlig tadellos in Freiheit.

Die Unterstützung

Trotzdem wäre unsere IG-Fw wohl von kurzer Dauer gewesen ohne die Teilnehmenden und heutigen Mitglieder des Fördervereins. Wovon die Gefangenen solchen zwar immer noch ein kleines Grüppchen sind (derzeit ca. 25; mal etwas mehr, mal wieder ein paar weniger). Klein verglichen mit den wohl weit über 1000 in irgendeiner Form präventiv unbegrenzt Weggesperrten hierzulande. Ohne sie aber hätte ich wohl schwerlich bis heute durchgehalten.

Ganz besonders helfen mir von Anbeginn meine persönlichen Freunde und guten Bekannten, teils auch noch aus den Vereinszeiten ehemaliger Verding- und Heimkinder. Ohne sie hätten wir noch nicht einmal ein Konto. Diesen verdanken wir von der IG-Fw das zwar langsame, aber beharrliche Wachsen unserer Bemühungen. Und mit ihnen dem Förderverein für die IG „Fair-wahrt?“, den sie mit mir ein Jahr nach dem Start der IG-Fw ins Leben riefen.

Die Geldmittel

Seit auch Gefangene Mitglieder im Förderverein sein können, tragen die Meisten darunter mit ihrem Jahresbeitrag (derzeit Fr. 25.-) und teilweise auch mit Spenden bei. Zudem wird unsere Organisation auch durch Spenden von Gönner/-innen und Mitgliedern ausserhalb, neu auch durch Jahresbeiträge (Fr. 250.-) einiger auswärtiger Aktivmitglieder, aber auch durch Beiträge der auswärtigen Vereinsgründer/-innen und von mir selber getragen.

Tätigkeiten

In den ersten Jahren lagen die Schwerpunkte im Versuch, uns zu etablieren, möglichst breit vor allem unter Betroffenen bekannt zu werden, in der Selbsthilfe (z.B. Verbreitung eines Kodex für Teilnehmende), gegenseitige Stütze, Erhalten und möglichst Aufbauen lebenswichtiger Hoffnung, in Ratschlägen, vereinzelt in Vermittlungen von spezialisierten Anwälten. Gewiss tut solches manch ein engagierter, empathischer und fähiger Mitgefangener. Ich persönlich war und werde weiterhin, mal mehr, mal weniger, für Hilfe und Rat, etwa bei Aktenstudium, schwer verständlichen Formulierungen und Argumentationen oder auch schon mal für Übersetzungen, für Schlichtungen unter Gefangenen und allgemein als Zuhörer in Anspruch genommen. Hier in der Pöschwies, aber gelegentlich auch brieflich mit Gefangenen anderswo.

Nachdem kurz nach unserer Gründung gerade auf dieser Abteilung einige teils gravierende Vorfälle eintraten, versuchten wir vor allem in den ersten beiden Jahren aus unserer Sicht als Unrecht taxierte Vorgehensweisen seitens Justizvollzugspersonen und deren Obrigkeiten anzuprangern in Berichten, Erzählungen und auch mittels Beschwerden.

Mangels breiter Streumöglichkeiten musste ich mit der Zeit einsehen, dass sich solches Vorgehen unter dem Strich kontraproduktiv für unsere Anliegen und Ziele auswirkte. Ich sah bald davon ab, Klagen offen verbreiten zu wollen und beschränkte mich vorerst auf deren interne Dokumentierung.

Wir versuchten immer wieder, wenigstens im Kleinen da und dort etwas zu erreichen. So zum Beispiel ersuchte ich jüngst die Postverwaltung in Bern um Berücksichtigung zumindest Langzeit-Gefangener bei der anstehenden Briefmarken-Profitrückerstattungsaktion „2 A-Post-Marken an alle Haushalte“ mit dem Argument, dass Gefangene kein Internet, kein eigenes Telefon und nur begrenzte Telefonzeit haben, daher auch nicht mailen können und somit heutzutage wohl zu den fleissigsten Briefeschreibern gehörten (wurde „leider“ abgewiesen).

Das bislang grösste und arbeitsintensivste Projekt war unsere Umfrage unter Verwahrten und deren (Laien-)Auswertung. Demgemäss leiden die Betroffenen am schwersten unter der Ungewissheit, welche viele als psychische Folter empfinden. (Siehe Dokumentation in unserer Homepage: www.fair-wahrt.ch)

Erfolge?

Leider noch so gut wie keine vorweisbare Erfolge konnten hinsichtlich unserer Ziele verbucht werden. Glücklicherweise verzeichneten wir in den letzten ein bis zwei Jahren diversen Zuwachs an renommierten Fachkräften. Heute ist unsere IG-Fw, bzw. unser Verein gewiss schon Vielen mehr oder weniger ein Begriff, wenn auch nach wie vor nicht sehr verbreitet und leider auch noch nicht besonders wirkungsvoll.

Immerhin aber wurde die IG-Fw im November 2012 überraschend vom Bundesamt für Justiz im Vernehmlassungsverfahren zur Parlamentarischen Initiative 11.431 (Administrativ versorgte Menschen) mit zur Stellungnahme eingeladen, woran ich mich natürlich gerne beteiligte. Ein Aufruf zu Beiträgen von Betroffenen zu unserer Stellungnahme brachte leider kaum Reaktionen. Diesen hatte ich individuell an mir bekannte eh. Heim- und Verdingkinder unter Gefangenen, wie auch via Aushang und Bitte um Bekanntmachung an die Leitungen aller grösseren Haftanstalten in der Deutschschweiz gerichtet. Aufgrund nicht gerade wenigen mir persönlich bekannten Inhaftierten vermute ich – besonders wohl unter Langzeitgefangenen bzw. Verwahrten – einen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlichen Anteil einstiger administrativ Versorgter.

Ein enttäuschender Misserfolg war die Klage in Strassburg (mit Unterstützung der IG-Fw und auch dank zweckgebundenen grosszügigen Spenden einzelner Gefangener). Ein Jahr nach meiner Pensionierung verweigerte ich die Gefangenenarbeit aus gesundheitlichen Gründen und als ich deswegen sanktioniert wurde argumentierte ich mit dem Gesetz, wonach Männer über 65 Jahren nicht mehr zur Arbeit verpflichtet werden könnten. Dies gelte nicht für Gefangene, begründete der Vollzug und alle weiteren Instanzen die Zurückweisung meiner Argumente. Ich musste nicht nur die ganze Palette an Disziplinarstrafen durchstehen, sondern sah mich in der Folge noch mehr schikaniert als bisher schon, ja, ich wurde regelrecht von Teilen des Personals gemobt. Nach dem Bundesgerichtsentscheid folgte die Klage beim EMRG, welche, wie gesagt, von uns verloren wurde.

Gefährdete IG-Fw-Zukunft 
Wachstum und neue Leitung

Durch sich verstärkende Krankheitssymptome, bei meinem Alter (über 70) und die sich merklich vermindernde Schaffenskraft bin ich um die künftige Leitung der IG-Fw besorgt. Und ohne deutliche Vergrösserung sehe ich unsere Stimme ohne zielführende Wirkung.

Frühere Versuche, unsere IG-Fw mehr Gefangenen anderer Haftanstalten bekannt zu machen, zeitigten ziemlich bescheidene Erfolge; Von etwa einem Dutzend im ersten Jahr angeschriebenen Anstalten antworteten nur deren vier, davon zwei positiv. Zwei weitere wiesen das Ansinnen zurück (von einer hiess es, dass es bei ihnen keine Verwahrten gebe).

Wir hoffen auf offene Ohren, auch bei objektiven Medien, um uns vergrössern zu können, indem wir auf diesem Wege mehr Menschen bekannt würden. Wir möchten Betroffene und deren Angehörige ansprechen, die von uns noch nichts wissen. Auch hoffen wir, möglichst viele Verteidiger von in solcher Weise präventiv Weggesperrten zu erreichen. Wir suchen weitere empathische Menschen zur allgemeinen Unterstützung und möglichst auch die eine oder andere Person, die das Rüstzeug für aktive Schreibarbeiten, am liebsten auch für die Betreuung unserer Homepage und Facebookseite (derzeit nur reduzierte Übergangsbetreuung) mitbrächten. Und wir suchen dringend eine Nachfolge für die Leitung der IG-Fw! Ein Fernziel wäre die Gründung eines Fonds für die Verteidigung mittelloser und unbedarfter verwahrter Menschen.

Wachsen möchten wir zudem, um künftig eher von Massnahmezentren und Strafanstalten, Justizvollzugsbehörden, Justizdirektionen und möglichst auch von politisch aktiven Exponenten eher wahr- und in unseren Anliegen ernstgenommen zu werden.

Um diese eher zu ermutigen, hoffen wir auf eine breitere Aufklärung der freien Zivilgesellschaft. Die Menschen sollten endlich erfahren, wie einfach bei uns ein Mensch weggesperrt werden kann und wie rechtstaatlich bedenklich dabei dessen Rechte ausgehebelt werden können. Und dass dadurch Viele teils jahrzehntelang über die Haftstrafe hinaus menschenrechtswidrig weiter in Strafhaft behalten werden, wo sie mit der dauerhaften, zunehmend qualvollen Ungewissheit leben müssen, ob sie da jemals lebend raus kommen werden.

Namens der betroffenen Gefangenen, deren Angehörigen und namens aller Mitglieder, Gönnerinnen und Gönner danke ich Ihnen für Ihr Interesse an unserer gemeinnützigen Sache. BM