Alexander Frey
Ein langjähriger Mitverwahrter, gesundheitlich schwer angeschlagen, stellt hier eine Auswahl neuerer Akten aus seinem Überprüfungsverfahren, welches sage und schreibe seit mehr als 7 Jahren läuft, zur Verfügung. Er will bewusst mit vollem Namen an die Öffentlichkeit.
Liebe Leserinnen und Leser
In dieser Präsentation von ausgesuchten Akten tun das meiner Verwahrung zugrunde liegende Urteil und die Straftatsbestände nichts zur Sache. Es geht hier nicht um Schuld oder Unschuld, nicht um Sühne oder Strafe. Denn die Sicherheitsverwahrung, wie sie seit vielen Jahren über mich verhängt ist, soll gemäss dem Gesetz keine Strafe sein, sondern eine „Massnahme“: sie ist ausschliesslich Präventivhaft.
Rechtswidrige Strafhaft
Bei der Sicherheitsverwahrung werden Menschen nach Verbüssen einer gerichtlich angeordneton Strafe weiterhin und auf ungewisse Zeit in Gefangenschaft behalten. Der hierzulande eklatante Mangel an „geeigneten Verwahrungseinrichtungen“ führt dazu, dass die weitaus meisten Betroffenen auch nach Verbüssen ihrer Haftstrafe unverändert in einer Strafanstalt weggesperrt bleiben.
Druck auf Gutachter
Angewandt wird die Verwahrung, weil gerichtsforensische Psychiater aufgrund von Akten, Exploranden-Gesprächen und allenfalls -Tests, sowie ev. Dritttinformationen zum Schluss gekommen sind, dass die betreffende Person (weiterhin) „eine Gefahr für die Allgemeinheit“ darstelle. Niemand kann wohl ausschliessen, dass Erwartungshaltungen bei Politik, Medien und wohl auch von Behördenvertreterseite die Arbeit von Gerichtsgutachtern beeinflussen. So oder so: ein solches Gutachten, selbst bei seriösester Durchführung und Abfassung, läuft letztlich auf einen im Grunde gar nicht möglichen ‚Blick in die Zukunft‘ hinaus, was aber trotzdem öfter als nicht zur Wegsperrung eines Menschen potentiell bis zu seinem Tode führt. Betroffene haben dagegen kaum eine Chance: Von gerichtspsychiatrischen Explorandengesprächen werden keine Protokolle erstellt, sodass Gutachter erfahrungsgemäss für etwaige falsche Aussagen nicht zur Verantwortung gezogen werden können.
Überprüfungen ohne Prüfung
Verwahrte müss(t)en jährlich überprüft werden. Derweil nimmt eine echte Überprüfung viel Zeit in Anspruch, sodass die Überprüfungen teils jahrelang „sistiert“ werden. Allerdings umfasst ’normalerweise‘ eine solche „Überprüfung“ kaum mehr als die alljährliche simple pro-forma-Feststellung eines Fallverantwortlichen , dass „keine Veränderung der Ausgangslage eingetreten“ sei. Worauf per Verfügung „die Verwahrung weitergeführt“ wird.
Gesetzliche Frist krass überzogen
Danebst mussten mit Inkraftreten des neuen Gesetzes am 1. Januar 2007 sämtliche nach altem Recht verwahrten Gefangenen gesondert überprüft werden. Es musste durch ein Gericht beurteilt werden, ob der Gefangene auch nach neuem Recht weiterhin sicherheitsverwahrt, oder ob er mit einer geschlossenen therapeutischen Massnahme belegt werden solle.
Als Übergangsfrist sah der Gesetzgeber 1 Jahr vor. Da jedoch bis zum 31. Dezember 2007 erst ein kleiner Teil der damals schon einigen hundert nach altem Recht Verwahrten neu abgeurteilt worden sind, blieben die meisten unter ihnen einfach weiterhin im Knast, im ‚rechtslosen Raum‘ zwischen dem nicht mehr gültigen alten und dem neuen Gesetz.
Es ist schwer zu glauben, aber selbst heute sind noch nicht alle der nach dem 01.01.2007 eingeleiteten gesetzlichen Überprüfungsverfahren abschliessend beurteilt worden. Ich jedenfalls warte heute noch auf einen rechtskräftigen Entscheid. Wohlverstanden, ohne dass ich oder meines Wissens sonst ein Verwahrter je von einer gesetzlich abgestützten entsprechenden Verlängerung der ursprünglichen einjährigen Übergangsfrist erfahren hätten – unser Aufenthalt in Strafanstalten wurde stattdessen mehr oder weniger ’stillschweigend‘ und ‚open-end‘ einfach in „Sicherheitshaft“ umetikettiert …
So weiss ich heute, 2015, noch immer nicht, ob das seit anfangs 2007 geltende neue Gesetz auf mich anwendbar ist. Und ich weiss von Tag zu Tag weniger, ob ich einen rechtskräftigen Entscheid darüber überhaupt noch erleben werde.
Für Leserinnen , welche an weiteren Informationen interessiert sind, stehe ich gerne zur Verfügung, soweit (und solange) mir dies möglich ist. Bitte wenden Sie sich ggf. an die Leitung der IG „Fair-wahrt?“.
Für Ihr Interesse bin ich den Leserinnen und Lesern sehr dankbar!
Alexander Frey (Ende Januar 2015, JVA Pöschwies)
Zeitleiste
Ariane Pfister Stv. Fallverantwortliche
Sehr geehrter Herr B
Unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 9. Januar 2015 teile ich Ihnen mit, dass ich mit Herrn Thomas Staub, ärztliche Leitung des Arztdienstes der JVA Pöschwies, Kontakt aufgenommen habe bezüglich der Hafterstehungsfähigkeit. Er versicherte mir, dass aktuell bei Alexander Frei noch eine Hafterstehungsfähigkeit bestehe, wobei sich diese jederzeit drastisch ändern könne. Demnach kann Alexander Frei weiterhin in der JVA Pöschwies bleiben und eine sofortige Versetzung auf die Bewachungsstation des Inselspital Bern ist nicht angezeigt. Dennoch muss nach einer Langzeitlösung gesucht werden, womit wir aktuell beschäftig sind. In diesem Kontext ist allenfalls zu prüfen, ob Ergänzungsfragen an den Gutachter gestellt werden sollten, wie beispielsweise welche Nachfolgeinstitution er als geeignet erachtet. Für Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüsse
Ariane Pfister
Antwortschreiben der Vollzugs-Fallverantwortlichen an meinen Anwalt:
Darin schreibt die Fallverantwortliche, dass der Anstaltsarzt ihr auf ihre Kontaktaufnahme hin „versichert“ habe, dass „aktuell bei Alexander Frey noch eine Hafterstehungsfähigkeit bestehe“. Ob der Anstaltsarzt dies – nur wenige Tage nach seinem entgegenlautenden Bericht – ohne Weiteres und ohne Einschränkung (und ohne jeglichen Druck?) wirklich so dargestellt hat, ist aktuell nicht bekannt.
Beantragung der Haftunterbrechung
In diesem Schreiben an die Vollzugs-Fallverantwortliche beantragt mein Anwalt für mich Haftunter-, bzw. -abbruch, mit Verweis auf den Arztberichts gleichen Datums.
Rechtsanwalt B
Namens und im Auftrag meines Mandanten, Alexander Frei, Thayngen, ersuche ich um sofortige Gewährung der Massnahmenvollzugsunterbrechung bzw. -aufhebung zufolge fehlender Massnahmenerstehungsfähigkeit.
Der Leiter des Arztdienstes der JVA Pöschwies bestätigt mit Schreiben vom 9. Januar 2015, dass bei Herrn Frei die Massnahmenerstehungsfähigkeit „längst“ nicht mehr gegeben sei und ein Vollzugsunterbruch medizinisch indiziert ist, denn die benötigte medizinische Betreuung über 24 Stunden könne ihm unter Haftbedingungen nicht mehr geboten werden. Herr Frei sei in seiner Gehfähigkeit auf maximal 30 Meter eingeschränkt und deshalb weitgehend rollstuhlabhängig. Die JVA sei nicht rollstuhlgängig. Herr Frei leide an intermittierendem Schwindel mit Sturzgefahr und auch an wiederholten kurzen Bewusstlosigkeitsanfällen (Subclavian Steal Symptomatik), womit auch das nicht medizinisch geschulte Betreuungspersonal überfordert sei. In unserer JVA gebe es wohl einen Arztdienst (Arztpraxis), jedoch keine medizinische Pflegeabteilung mit 24h Besetzung, was was für Herrn Frei zwingend erforderlich wäre. Somit erhalte er nicht die ihm eigentlich zustehende medizinische Betreuung mit der Gefahr, dass bei einem Notfallereignis (Bsp. Herzinfarkt, Hirnschlag, wofür er ein Hochrisikopatient sei) nicht unmittelbar die korrekte medizinische Hilfeleistung zur Verfügung steht. Aufgrund der Im Arztbericht beschriebenen Dringlichkeit wird um sofortige Verfügung ersucht. Bis zum Verfügungserlass ist die medizinisch erforderliche medizinische Betreuung während 24 Stunden zu gewährleisten.
Freundliche Grüsse
Anwalt B
JVA Pöschwies-Arztbericht zu meinem Gesundheitszustand.
Der Arzt stützt sich darin, nebst der eigenen langjährigen medizinischen Betreuung meiner Person, auf diverse Berichte des Inselspitals Bern (Zitate:
„Aus meiner Sicht ist die Grenze zur Hafterstehungsfähigkeit längst überschritten“; „In der JVA Pöschwies gibt es […] keine medizinische Pflegeabteilung mit 24h-Besetzung, was für Herrn Frey zwingend erforderlich wäre.“; “ … wäre aus meiner Sicht ein Haftunterbruch aus medizinischer Indikation sicherlich angebracht“).
Justizvollzugsanstalt Pöschwies Arztdienst
Herrn Dr. B Rechtsanwalt
Betrifft Ihren Brief vom 11.12.2014 betr. Frei Alexander, geb. 09.07.55
Sehr geehrter Herr Dr. B
Mit freundlicher Entschuldigung für die zeitliche Verzögerung wegen der vergangenen Festtage beantworte ich ihre Fragen im Brief vom 11.12.2014 gerne folgendermassen:
Herr Frei wird seit seinem jahrelangen Aufenthalt in der JVA Pöschwies regelmässig durch unseren Arztdienst betreut, in den letzten Jahren namentlich durch mich. Anlässlich der letzten Hospitalisation auf der Bewachungsstation des Inselspitals Bern (ISB) im Aug./Sept. 2014 wurde zu seinem Gesundheitszustand ausführlich Stellung genommen, weshalb ich mich bei der Beantwortung ihrer Fragen weitgehend auf diesen aktuellen Bericht abstütze.
Ad 1) Der aktuelle medizinische Zustand ist nicht zuletzt dank der Polymedikation und wiederholten medizinischen Interventionen in den letzten Monaten recht stabil geblieben, dies kann sich jedoch bei dem polymorbiden Hochrisikopatienten relativ rasch und dramatisch ändern. Hinsichtlich der Zukunftsaussichten kann bestenfalls von einem weiterhin möglichst stabilen, realistischer aber von einem sich allmählich verschlechternden Verlauf ausgegangen werden.
Ad 2) Aus meiner Sicht ist die Grenze zur Hafterstehungsfähigkeit längst überschritten, denn die benötigte medizinische Betreuung über 24 Stunden können wir ihm unter Haftbedingungen längst nicht mehr bieten. Für weitere Stellungnahmen zu dieser Frage verweise ich sie an die Ärzte der Bewachungsstation ISB oder das Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich.
Ad 3) Herr Frei ist in seiner Gehfähigkeit auf maximal 30 Meter eingeschränkt und deshalb weitgehend rollstuhlabhängig. Unsere JVA ist nicht rollstuhlgängig! Herr Frei leidet an intermittierendem Schwindel mit Sturzgefahr und auch an wiederholten kurzen Bewusstlosigkeitsanfällen (Subclavian Steal Symptomatik), womit auch unser nicht medizinisch geschultes Betreuungspersonal überfordert ist. In unserer JVA gibt es wohl einen Arztdienst (= Arztpraxis), jedoch keine medizinische Pflegeabteilung mit 24hBesetzung, was was für Herrn Frei zwingend erforderlich wäre. Somit erhält er nicht die ihm eigentlich zustehende medizinische Betreuung mit der Gefahr, dass bei einem Notfallereignis (Bsp. Herzinfarkt, Hirnschlag, wofür er ein Hochrisikopatient darstellt!) nicht unmittelbar die korrekte medizinische Hilfeleistung zur Verfügung steht.
Ad 4) Herr Frei kann gerade noch seine tägliche Selbstbesorgung (sich waschen, rasieren, an/auskleiden, etc.) selbständig bewerkstelligen und einer leichtesten sitzenden Tätigkeit mit eingeschränktem zeitlichem Pensum nachkommen. Seine Mobilität ist wie erwähnt bereits massgeblich eingeschränkt und er für Gehstrecken über 30 Meter auf einen Rollstuhl angewiesen. Aufgrund seiner diversen Krankheiten ist die gesamte Lebensqualität deutlich reduziert.
Aus diesem Grund wäre aus meiner Sicht ein Haftunterbruch aus medizinischer Indikation sicherlich angebracht.
Für weitere Fragen stehe ich ihnen gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüssen
Dr. med. Thomas Staub FMH
Eine mich betreffende Standortbestimmung
Eine mich betreffende Standortbestimmung der JVA Pöschwies Abt. „ASP“, wo derzeit Drogensüchtige, psychisch Kranke, in ihrer Entwicklung Zurückgebliebene, Gebrechliche und Pensionierte – Strafgefangene und Verwahrte gemischt untergebracht sind. Sie gibt, wie auch schon frühere solche, ein gutes Zeugnis über mich ab. Das ist bei Verwahrten viel häufiger der Fall, als es meist gerade auch deren gerichtspsychologischen Gutachten erwarten liessen!
ASP STANDORTBESTIMMUNG Datum: Dezember 2014
Name: Frei Alexander
Eintritt in den Pavillon Herr Frei ist am 10.09.2013 von der JVA Lenzburg in die ASP eingetreten
1. Verhalten im Wohnbereich
1.1) soziales Verhalten I Integration in der Gruppe Herr Frei hat sich gut in die Gruppe integriert und wird von ihr auch akzeptiert. Er wird oft von Mitgefangenen in seiner Zelle besucht..
1.2) Verhalten gegenüber den Angestellten: Die Begegnungen mit Herrn Frei sind respektvoll und freundlich. Da er früher schon ASP Insasse war, kennt er diverse Mitarbeiter noch.
1.3) Zuverlässigkeit / Vertragsfähigkeit / Umgang mit Weisungen: Herr Frei hält sich an die Hausordnung und befolgt Weisungen korrekt.
1.4) Persönliche Hygiene: Herr Frei schenkt seiner Körperhygiene die notwendige Beachtung und kleidet sich ordentlich.
1.5) Zellenordnung: Herr Frei hält seine Zelle aufgeräumt und sauber. Weil er über viel persönliches Material verfügt, wirkt die Zelle etwas unübersichtlich.
1.6) Umgang mit Finanzen: Herr Frei geht mit seinem Geld sehr haushälterisch um.
1.7) Mahlzeiten: Herr Frei nimmt seine Mahlzeiten regelmässig und gemeinsam mit den Mitgefangenen ein. Da sich sein Gesundheitszustand massiv verschlechtert hat, wird er von Mittinsassen bedient.
2. Gesundheit und Sucht
2.1) Medikamente/ Umgang mit Medikamenten: Herr Frei hat keine fest verordneten Medikamente, die er unter Sicht einnehmen müsste. Die für ihn wichtigen, verschriebenen Medikamente nimmt Herr Frei selbstständig ein..
2.2) Gesundheit / Umgang mit Gesundheit: Herr Frei klagt über verschiedene körperliche Probleme. Er besucht regelmässig den Arztdienst und ist unter ärztlicher Kontrolle. Aus gesundheitlichen Gründen wird Hr. Frei für längere Wege mit einem Rollstuhl von A nach B gebracht.
2.3) Drogen / UP Herr Frei muss sich keiner UP Kontrolle unterziehen
3 Freizeitgestaltung
3.1) Freizeltverhalten: Herr Frei verbringt seine Freizeit hauptsächlich auf seiner Zelle, wo er auch Besuche von Mitgefangenen erhält. Bei schönem oder warmen Wetter sieht man ihn auch im Pausenhof mit den anderen Gefangenen im Gespräch.
3.2) Aktivitäten / Sport Herr Frei betreibt keinen Sport oder ähnliche Aktivitäten.
4 Disziplinierungen
Es gab seit er wieder in der ASP ist keine Disziplinierungen zu verzeichnen.
5 Vollzugsplanziele – Zielsetzungen für den Betreuungsbereich
5.1) Schulische Weiterbildung: Herr Frei besucht keine Weiterbildungen.
5.2) Vollzugsplanziele . .Berufliche Aus und Weiterbildung
6. Kontakte
6.1) Besuch: Herr Frei erhält regelmässig private Besuche.
6.2) Telefon: Seine geführten Telefonate sind meistens privater Natur.
6.3) Urlaub: Herr Frei ist nicht Urlaubsberechtigt.
6.4) Vollzugsplanziele
7. Therapie
7.1) Therapie
7.2) Vollzugsplanziele
8. Zielsetzungen/weiteres Vorgehen
Seine momentane geistige und körperliche Verfassung erhalten.
Standortbestimmung gelesen und besprochen
Datum: 20.12: Alexander
Meines Rechtsanwalts Stellungnahme ans Bezirksgericht Affoltern a/A:
Diese 21-seitige Stellungnahme meines Anwalts ‚pflückt‘ das zuvor über mich erstellte gerichtspsychiatrische Ergänzungsgutachten (wie auch das Hauptgutachten) buchstäblich auseinander. Dieses Dokument wird besonders jenen zur Lektüre empfohlen, welche noch immer an faire, überzeugend fundierte und sichere gerichtspsychiatrische Abklärungen glauben, „ohne solche bei uns doch gewiss niemand verwahrt würde“. Man bedenke, dass der Meinige alles andere als ein Einzelfall ist. Ähnlich bedenkliche ‚Verwahrungsgutachten‘ gibt es zuhauf, denn der öffentliche Druck („im Zweifel für die Sicherheit“, also für das dauerhafte Wegschliessen) ist immens und steht im zunehmenden Widerspruch zu verfassungsmässigen Grundrechten, wie etwa dem Gebot der Verhältnismässigkeit.
Die wenigsten Gutachter scheinen ein Problem zu haben, diesem Druck (und möglicherweise auch entsprechenden Vorgaben seitens deren Auftraggeber) nachzugeben; sie können sich darauf berufen, dass sie lediglich eine Empfehlung abgeben und nicht selber richten. Und die Richter fühlen sich an solche Empfehlungen gebunden, wohl nur zu gerne: weil sie so ihre Hände in Unschuld waschen können – sollte sich der Gutachter ‚irren‘, tragen sie ja keine Schuld!
Rechtsanwalt B
Sehr geehrte Damen und Herren
In erwähnter Angelegenheit nehme ich innert Frist Stellung zum Ergänzungsgutachten vom 13. Oktober 2014:
1. Das Gutachten ist nicht aktuell, und es beruht auch nicht auf aktuellen Untersuchungen des Exploranden.
2.Dr. Hiersemenzel hat den Exploranden nur für sein Gutachten vom 26. April 2010 untersucht, und es stützt sich daher auf die persönlichen Befragungen des Expioranden am 13. Januar 2010, 21. Januar 2010, 2. Februar 2010, 10. Februar 2010, und 15. April 2010 (Gutachten act. 22, S. 2). Die Befragung des Exploranden liegt so weit zurück, dass sich der Gutachter den auch im aktuellen Verfahren auch nicht mehr an Einzelheiten der Angaben des Expioranden zu erinnern vermochte.
3. Voraussetzungen für stationäre als auch ambulante Massnahmen nach Art. 59 wie auch Art. 63 StGB und 64 StGB sind „schwere Störungen des psychischen Zustandes“ (vgl. BGer 6B_926/2013 E. 3.2). Die psychische Störung muss zum Tatzeitpunkt bestanden haben. Sie muss überdies zum Urteilszeitpunkt noch vorliegen (Basler Kommentar, Heer, N. 10 zu Art. 59 StGB mit weiteren Hinweisen).
4. Entsprechend müssen ein Gutachten und die zugehörige Informationsaufnahme aktuell sein. In der Literatur wird etwa unter Hinweis auf Art. 62d Abs. I StGB die Auffassung vertreten, gutachterliche Feststellungen dürfen nicht mehr als ein Jahr zurückliegen (Basler Kommentar, Heer, N. 67 zu Art. 56 StGB mit weiteren Hinweisen). Zwar betont das Bundesgericht neu inzwischen, dass es nicht mehr rein formal um ein bestimmtes Alter des Gutachtens gehe, um die Frage der Aktualität zu messen. Vielmehr sei relevant, ob Gewähr dafür bestehe, dass eine Beurteilung aufgrund der seitherigen Entwicklung immer noch zutrifft. Soweit ein früheres Gutachten mit Ablauf der Zeit und zufolge veränderter Verhältnisse an Aktualität eingebüsst hat, sind neue Abklärungen unabdingbar (BGE 134 IV 246 E. 4.3)
5. Ein zurückliegendes Gutachten muss dann als unzureichend bezeichnet werden, wenn inzwischen veränderte Verhältnisse eingetreten sind. Solche veränderten Verhältnisse sind selbst bei schweren psychischen Störungen nach zwei bis drei Jahren zu erwarten. Bei Persönlichkeitsauffälligkeiten, die in ihrer Ausprägungsart noch wesentlich stärker von aktuellen Konflikten und der psychosozialen Situation des Exploranden abhängen, wird die Gültigkeit selbst sorgfältigster Abklärungen nach psychiatrischer Sicht nach zwei Jahren zumindest zu überprüfen sein. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis gemäss forensischpsychiatrischer Lehre, dass sich Gefährlichkeitsprognosen in der Regel höchstens für die Dauer eines Jahres zuverlässig stellen lassen (Basler Kommentar, Heer, N. 68 zu Art. 56 StGB).
6. Das vorliegende Gutachten und auch das Ergänzungsgutachten basieren auf Informationsaufnahmen, die im Urteilszeitpunkt mehr als fünf Jahre zurückliegen werden. Mit diesen Informationsaufnahmen sollen nach der singulären Meinung des aktuellen Gutachtens entgegen allen früheren Gutachten keine hirnorganische (und damit stabile) Persönlichkeitsstörung vorliegen, sondern es soll eine nicht organische „kombinierte Persönlichkeitsstörung“ bestehen (nach lCD IO F 61.0)
In den klinisch diagnostischen Leitlinien der WHO zur internationalen Klassifikation psychischer Störungen lCD 10 Kapitel V, 8. Auflage, wird zu den spezifischen Persönlichkeits Störungen, kombinierte und sonstigen Persönlichkeitsstörungen und anhaltende Persönlichkeits Änderungen (F60 F62) unter anderem ausgeführt: „Persönlichkeitsstörungen unterscheiden sich von Persönlichkeitsänderungen durch den Zeitpunkt und durch die Art und Weise ihres Auftretens. Sie beginnen in der Kindheit oder Adoleszenz und dauern bis ins Erwachsenenalter an. Sie beruhen nicht auf einer anderen psychischen Störung oder Hirnerkrankung, obwohl sie anderen Störungen voraus und mit ihnen einhergehen können. Als diagnostische Leitlinien zu den Persönlichkeits Störungen werden unter anderem festgehalten:
2. Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt.
3. Das auffällige Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend.
4. Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter.
5. Die Störung führt zu deutlichen subjektiven Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf.
6. Die Störung ist meistens, aber nicht stets mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden. Für die Diagnose der meisten Untergruppen müssen mindestens drei der jeweils genannten Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen.“
8. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass die Aktualität des Gutachtens gerade im Bezug auf die gestellte Diagnose hoch sein muss. Die angeblichen Persönlichkeitsmerkmale müssen auch aktuell vorliegen, aktuell exploriert und beschrieben werden.
9. Davon kann vorliegend keine Rede sein. Der Gutachter hat den klaren Auftrag erhalten, zu verschiedenen Aspekten seiner „Diagnose“ konkrete Angaben zu machen. Der Gutachter zählt die Punkte denn auch einzeln auf (Ergänzungsgutachten, S. 3 – 5 act. 168).
10. Der Gutachter beantwortet diese Einzelpunkte jedoch nicht im Einzelnen, sondern er macht „ergänzende gutachterliche Erläuterungen“, wo er die offenen Fragen sowie die ICD-10-Kriterien durcheinander wirft, ohne das man eine Struktur erkennt und ohne dass er die Aufgabe, seine Antworten laienverständlich zu formulieren, erfüllt.
11. Der Gutachter hatte auch den Auftrag, die beim Verwahrten vorliegenden Merkmale der angeblichen Persönlichkeits-Störung zu spezifizieren und diagnostizierte Anteile nachvollziehbar zu begründen. Auch diese Anforderung wird nicht erfüllt.
Im Einzelnen:
12. Einführend gibt der Gutachter an, es ergebe sich „klar“ dass sich beim Exploranden die Störung schon in Kindheit und Jugend manifestiert habe (Kriterium 4). Er habe dazu im Gutachten explizit angeführt, dass nach schwieriger Geburt und infolge verzögerter körperlicher Entwicklung schon früh erhebliche Auffälligkeiten beim Kontaktund Beziehungsverhalten, Probleme in der Affektsteuerung mit affektiver Instabilität (was heisst das konkret?) auftraten, die ihn zum Aussenseiter machten und ihn in der Regelschule nicht tragbar werden liessen.
13. Für den Laien ist nicht nachvollziehbar, was eine „schwierige Geburt“ konkret bedeutet und was sie mit den Merkmalen einer Persönlichkeitsstörung zu tun hat. Der Gutachter führt es auch nicht aus. Weder im Gutachten (S. 73) noch im Ergänzungsgutachten (passim). In der Fachliteratur „existieren nach Bohus und Stieglitz keine für Ätiologie und Pathogenese (Ursache, Entstehung und Entwicklung einer Krankheit) allgemein akzeptierten Modellvorstellungen mit hinreichender empirischer Evidenz“ für Persönlichkeitsstörungen (FREYBERGER/SCHNEIDER/STIEGLITZ, Kompendium Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, S. 337 Ziff 16.1.2 ). Der Gutachter verströmt eine scheinbare Gewissheit, die wissenschaftlich gerade überhaupt nicht fundiert ist.
14. Im Gutachten hat der Gutachter vehement bestritten, dass eine organische, insbesondere eine hirnorganische Ursache für die angebliche Persönlichkeits Störung kausal gegeben sei. Dies obwohl in sämtlichen Vor Gutachten ebendies behauptet wurde. Gutachter Pavesi 1982, S. 20, will charakteristische Symptome einer frühkindlichen Hirnschädigung erkannt haben, die noch heute (1982) als organische Beeinträchtigung testpsychologisch erfasst werden kann). Gutachter Börlin im Gutachten, das zur Verurteilung der ursprünglichen Massnahme geführt hat, ausgeführt hat (Gutachten Börlin, S. 18) nach Darlegung verschiedener Testergebnisse: Es zeigen sich Hinweise auf hirnorganische Beeinträchtigung, indem die kognitiven Fähigkeiten, vor allem die Merkfähigkeit eingeschränkt sind. Im BentonTest, aber auch im Mosaik Test und in der Prüfung der Rechenfunktionen lässt sich eine organische Beeinträchtigung deutlich erkennen, ebenso im durchgeführten RorschachPersönlichkeits Test, welcher ein typisches Bild eines hirnorganisch geschädigten Menschen ergibt. Die bereits in den letzten zwei Jahrzehnten in diversen psychiatrischen Begutachtungen festgestellte hirnorganische Beeinträchtigung kann auch heutzutage nachgewiesen werden (Gutachten Börlin, S. 11). Somit ist heutzutage von einer organischen Persönlichkeits Störung auszugehen, welche bereits vor Jahrzehnten in diagnostischer Sicht gesichert war und auch heutzutage weiterhin Gültigkeit hat, auch wenn wir im Rahmen der lCD IO eine neue Diagnostik verwenden. Gemäss den Kriterienkatalogen von ICDIO schliesst eine organische Persönlichkeitsstörung die vom aktuellen Gutachter getroffene Diagnose aus und umgekehrt.
15. Die Gutachter widersprechen sich also offen und unauflöslich. Vorliegend aber geht es um die Diagnose von Gutachter Dr. Hiersemenzel. Dieser erwähnt trotz schwieriger Geburt und körperlich verzögerter Entwicklung eines schwächlichen Kindes bei einer „gleichwohl normwertige Intelligenz“. Woher der Gutachter seine diesbezüglichen Informationen hat, verschweigt er.
16. Im Gutachten Pavesi von 1982, S. 3, (auf welches Gutachten der aktuelle Gutachter selber auch referenziert) hiess es: Da die Krankengeschichte für die Frauenklinik nicht mehr existiert, haben wir uns auf die Angaben der Mutter des Exploranden verlassen. Die psychische Entwicklung in der ersten Kindheit sei nach Angabe der Mutter unauffällig gewesen, die körperliche dagegen verzögert. Zur damaligen Intelligenzentwicklung gibt es keine Angaben.
Es ist auch keine normwertige oder andere Intelligenz festgestellt.
Festgestellt wurde bloss: Wie lange der Explorand den Kindergarten besuchte, konnten wir nicht erfahren. Der Explorand soll mit 8 Jahren eingeschult worden sein, bereits in der 1. Klasse sei der Explorand nur mit Mühe nachgekommen und in der 2. Klasse sei dies noch schlimmer geworden, sodass der Explorand in die Hilfsklasse versetzt werden musste. Auch hier gab es Schwierigkeiten, der Explorand hatte Mühe, sich den Stoff anzueignen, zeigte auch wenig Interesse an Schule und Unterricht und kam weder mit Lehrern noch mit Schulkameraden aus. Mit der Zeit wurde die Situation untragbar, sodass ihn die Eltern von der Schule nahen und ihn zur Schwester nach Schaffhausen platzierten, wo er das Wintersemester der 4. und das Sommersemester der 5. Klasse besuchte. Im Herbst 1967 kehrte der Explorand zu seinen Eltern nach Thayngen, wo er wieder in die Schule ging.
Gutachter Dr. Hiersemenzel schliesst aus Kleinklassenbeschulung, Schulhaus und Wohnortwechsel und schliesslich eine Heimplatzierung würden „einerseits die Schwere der Problematik belegen“, stellten ihrerseits aber auch „bedeutsame Faktoren dar, die einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung nicht förderlich“ sind.
Auch diese bedeutungsschweren Schlussfolgerungen werden nicht irgendwie begründet oder konkretisiert.
Es ist aufgrund der spärlichen Hinweise aus der Jugend auch nicht ersichtlich, ob (und inwieweit) das Kind oder die Eltern überfordert waren, obwohl es Hinweise auf Alkoholmissbrauch seitens des Vaters des Expioranden im Gutachten Pavesi gibt.
Dass er aber „schon früh Aussenseiter und in der Schule nicht tragbar gewesen sein soll“ wegen angeblichen „Problemen in der Affektsteuerung mit affektiver Instabilität“ (was heisst das genau?) ist nicht verständlich aber auch nicht irgendwie begründet. Offenbar (Gutachten Pavesi a.a.O.) gibt es überhaupt keine verlässlichen und überprüfbaren Informationen (medizinische Berichte, Schulberichte etc.) aus der Jugend. Der aktuelle Gutachter erwähnt auch keine Quelle dafür.
17. Der Gutachter nennt keine verständliche Übersetzung für die Begriff „Affektsteuerung“ oder „affektiver Instabilität“, und er nennt auch keine konkreten belegten Vorgänge welche diese Schlussfolgerungen nachvollziehbar werden lassen. Objektive Informationen zu der schulischen Entwicklung gibt es keine. Den Aussagen der Mutter, welche nie am Schulalltag beteiligt war, stehen Angaben des Exploranden gegenüber, die nicht gut übereinstimmen. Objektive Informationen aus der Schulzeit fehlen vollständig. Der Gutachter hat darüber auch nicht selber mit der Mutter gesprochen (die längst verstorben ist), sondern er übernimmt als reine Mutmassungen formulierte Angaben aus dem Gutachten von 1982 und erhebt sie zu scheinbaren Tatsachenfeststellungen, um daran ätiologische und pathogenetische Folgerungen zu knüpfen. Das ist schlechterdings unhaltbar.
18. Der Gutachter gibt weiter an, dass der empfindsame und leicht kränkbare Explorand „als Folge der Erlebnisse der Ablehnung und des Scheiterns (in der Schule) früh schon kompensatorische Grössenideen und Fantasiegebäude entwickelt“ habe und bei ihm als junger Erwachsener eine „Neigung zur Pseudologie“, also dem Erzählen zum teil fantastisch anscheinender, aber unwahrer Geschichten sowie ein ausgeprägtes Lügen erkannt werden musste.
Der Gutachter gibt im Ergänzungsgutachten aber auch hierzu nicht an, worauf sich diese Annahmen stützen.
In seinem ursprünglichen Gutachten, S. 29 if., findet sich dazu ebenfalls kein Hinweis, obwohl im Ergänzungsgutachten auf jene Stelle verwiesen wird.
19. Der Gutachter unterstellt dem Exploranden sodann, es bestehe bei ihm eine „kindlich anmutende Unbedarftheit, eigenes Vermögen wird sehr überschätzt, Probleme werden unterschätzt“. Das sehe man z.B. in seiner Vorstellung er könne in Kolumbien leben und dort als Hafenarbeiter arbeiten. Dieses „Beispiel“ geisterte schon durch das ursprüngliche Gutachten. Andere Beispiele für diesen Befund werden aber nicht und wurden nie genannt. Warum die Vorstellung, in Kolumbien zu leben und dort als Hafenarbeiter tätig zu sein (die er noch vor seiner schweren Gefässerkrankung geäussert hat), „unrealistisch“ bzw. „kindlich anmutend“ sein soll, bleibt weiter unbegründet. Der Explorand ist als Kranführer ausgebildet und hat entsprechende Berufserfahrungen, so dass er rein „fachlich“ ohne weiteres in einem Hafen eingesetzt werden könnte. Der Explorand ist aber auch mit den Verhältnissen in Kolumbien selber persönlich vertraut. Er hat sich nach seiner vormaligen Entlassung mit i4 G aus Kolumbien verheiratet, und er hat sich nach Angabe des langjährigen Betreuers und Anstaltsseelsorgers Pater R voll und ganz für diese neue Familie eingesetzt, oft auch mit grossen zusätzlichen Engagement am Arbeitsplatz, um die Finanzen zu sichern. Herrn R selber hat jahrelang eine freundschaftliche Verbindung zur Familie Frei G mit regelmässigen Besuchen gepflegt. In diesen Jahren habe der Explorand auch Beziehungen zur Schwester seiner Frau, M, die in Zürich gelebt und zu den Verwandten in Kolumbien gepflegt. Er habe auch mit seiner Familie die Heimat seiner Frau besucht und sei dort ein gern gesehener Gast gewesen. Wiederholt habe er Einladungen erhalten, doch wieder nach Kolumbien zu kommen. Dabei habe er auch den Gedanken geäussert, vielleicht einmal nach Kolumbien auszureisen. Beweis: Befragung von R als Zeuge
20. Das Gutachten Eichenberger hält zur Grundpersönlichkeit des Expioranden folgendes als „übereinstimmend und gesichert“ fest: Herr Frei zeigt einen hohen mitmenschlichen Bezug und eine hohe Wertung von Beziehungsaspekten. Selbst beziehungsbedürftig besteht die Neigung, dass eigene Defizit durch Beziehungseinsatz und Verantwortungsübernahme zu kompensieren. Mit altruistischem Verhalten sucht er seinem Bedürfnis nach einem harmonischen und bergenden Kontext nachzukommen, auf den er als abhängige, willensschwache und auch gehemmte Persönlichkeit angewiesen ist. Der auf konstante Beziehungsfähigkeit angewiesene Proband ist deshalb bezüglich seiner Beziehungsbedürfnisse wiederholt frustriert worden, hat aber an Wunschvorstellungen festgehalten und diese mit hohem zwischenmenschlichen Einsatz umzusetzen versucht (Gutachten Eichenberger, 5. 37). Laut Gutachter Eichenberger ist die Selbsteinschätzung und die Zukunftsperspektive sehr differenziert, wie die Ausführungen, S. 35 f., zeigten. Dort ist auch der Ursprung der Idee, nach Kolumbien zurückzukehren, als Wunsch seiner Ehefrau, beschrieben. Dass dies „unrealistisch“ wäre, wird dagegen überhaupt nicht befunden.
21. Gutachter Dr. Hiersemenzel findet „es sei noch zu ergänzen, dass es 1982 bereits entsprechende Befunde gegeben habe“. Dabei unterstellt er ein Würgen und Bedrohen, auch mit Waffe, gegenüber seiner Ehefrau, wie sie es geschildert hatte, als angebliche Tatsache. Ein solcher Vorfall ist aber nie gerichtlich festgestellt worden. Vielmehr handelt es sich bloss um eine einseitige (bestrittene) Parteibehauptung vor dem Friedensrichter.
Daraus krankhafte Züge abzuleiten, ist unsachlich und unbegründet.
Andere konkrete Beispiele für dissoziale Anteile fehlen auch in diesem dargestellten Zusammenhang aus dem Jahr 1982 in den Ergänzungen des Gutachters. Der Gutachter will in der damaligen Dokumentation auch Befunde unreifer Persönlichkeitsanteile erkennen. Er nennt hierzu aber als einziges Beispiel, dass der Explorand das eigene Vermögen und seine Möglichkeiten völlig überschätze, wie beim Sprechen über den Kauf und Bau eines Hotelbetriebes im Tessin in Millionenhöhe. Der Explorand hat gemäss Gutachten Pavesi von 1982 an keiner Stelle derartige Angaben über einen angeblichen eigenen Hotelkauf in Millionenhöhe gemacht. Im Gutachten Pavesi, S. 12, wird nur beschrieben, wie der Expiorand stark detaillierte Pläne für den Kauf und den Umbau eines Hotelbetriebes im Tessin bearbeitet habe. Dass die Pläne oder Berechnungsinhalte unrichtig gewesen sein sollen, ergibt sich daraus nicht. Es ergibt sich, dass der Expiorand die Vorstellung geäussert hat, es würden sich weitere Personen für dieses Projekt interessieren, was gemäss Überprüfung aber nicht zutreffend gewesen sei. Der Explorand hat aber nicht sein eigenes Vermögen und Möglichkeiten überschätzt und auch nicht angegeben ein Hotelbetrieb selber zu kaufen und zu bauen in Millionenhöhe. Die Unterstellungen sind aktenwidrig. Sie lassen die gezogenen Schlussfolgerungen schon deshalb nicht zu.
22. Gutachter Dr. Hiersemenzel unterstellt weiter (Ergänzungsgutachten, S. 7 unten), es bestehe auch eine „unzureichende Verantwortungsübernahme“. Der Explorand zeige, „wenig Bereitschaft, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen“, sondern mache „Schuldzuweisung an andere“. Dies sei „in verschiedenen Lebensbereichen“ zu erkennen, insbesondere auch in Bezug auf die gezeigte Delinquenz. Der Gutachter führt dann aber nicht aus, wo dies in „verschiedenen Lebensbereichen“ sonst zu erkennen sei.
Ferner weise der Explorand eine mangelnde Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub aus. Auch hier wird weder ein Beispiel noch eine konkrete Begebenheit noch eine Begründung angegeben zu beiden Bereichen.
Es wird aber auf einen „hier also unreifen Persönlichkeitsanteit‘ seiner Störung geschlossen. Über die Ausprägung (Schwere) dieser Störung werden keine Angaben gemacht, geschweige denn begründet. Es wird entgegen den Anforderungen der Kriterien nach lCD IO auch hier nicht ausgeführt seit wann dieses Merkmal besteht, und es wird auch nicht ausgeführt, dass bzw. woran ersichtlich sein soll, dass dieser Zustand andauernd ist und aktuell immer noch besteht. Dies obwohl der Gutachter (in Übereinstimmung mit dem Kriterienkatalog nach lCDIO) selber darauf hingewiesen hat, dass für Merkmale einer Persönlichkeitsstörung gilt:
2. Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt.
3. Das auffällige Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend.
4. Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter.
5. Die Störung führt zu deutlichen subjektiven Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf.
6. Die Störung ist meistens, aber nicht stets mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden. Für die Diagnose der meisten Untergruppen müssen mindestens drei der jeweils genannten Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen.
23. „Histrionische Persönlichkeitszüge“ zeigen sich nach Meinung des Gutachters „z.B. in der Vergangenheit dort, wo er in Erregungszustände geriet, Gegenstände zerstörte, sich dann hinlegte und keine Antwort mehr gab, wobei im Folgenden bei einer neurologischen Untersuchung ein Anfallsleiden ausgeschlossen werden konnte.“ Der Gutachter gibt nicht an, welche „Vergangenheit“ er konkret meint. Er bezieht sich nur auf das Gutachten Pavesi (aus dem Jahr 1982) von vor mehr als 30 Jahren. Dass seither jemals dergleichen erwähnt oder beschrieben wurde, wird nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich.
Über die Ausprägung (Schwere) dieser Störung werden ebenfalls keine Angaben gemacht, geschweige denn begründet. Es wird entgegen den Anforderungen der Kriterien nach lCD IO auch nicht ausgeführt seit wann dieses Merkmal besteht, und es wird auch nicht ausgeführt, dass bzw. woran ersichtlich sein soll, dass dieser Zustand andauernd ist und aktuell immer noch besteht.
24. Der Gutachter führt weiter aus, in der Vorgeschichte sei auch wiederholt seine labile Affektivität wie Neigung zu Erregungsdurchbrüchen festgehalten. Auch hier macht er keine beispielhaften Angaben.
Gutachter Dr. Hiersemenzel selber konnte beim Exploranden aber keine erhöhte AffektLabilität und auch keine Affekt Inkontinenz feststellen, wie er selber im Gutachten, S. 59 unten, noch explizit festgehalten hatte.
Worauf sich seine vorgeschichtlichen Angaben beziehen ist unerfindlich. Offenbar hat bereits 2010 keine solche Situation mehr bestanden. Seither ist der Verwahrte nicht mehr exploriert worden.
Ein gesteigertes Verlangen nach Aufregung und Anerkennung, führt der Gutachter weiter aus, sehe man auch dort, wo er Lügengeschichten im Sinne einer Pseudologia fantastica erzähle. Im Gutachten von 2010 ist nicht von aktuellen Beispielen diesbezüglich die Rede. Auch im Ergänzungsgutachten nicht.
Schliesslich könnten aber auch die „Egozentrik und die hohe Selbstbezogenheit“ zu histrionischen Persönlichkeitsmerkmalen gezählt werden. Auch hierzu macht der Gutachter keine konkreten verständnisbegründeten Angaben. Für eine histrionischen Persönlichkeitsstörung sprechen nach den Kriterien lCD-10 F 60.4:
1. Traumatisierung bezüglich der eigenen Person, theatralischen Verhalten, übertriebene Ausdruck von Gefühlen.
2. Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit durch andere Personen oder Umstände.
3. Oberflächliche und labile Affektivität.
4. Andauerndes Verlangen nach Aufregung, Anerkennung durch Andere und Aktivitäten, bei denen die betroffene Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.
5. Unangemessen verführerisch in Erscheinung und Verhalten.
6. Übermässiges Interesse an körperlicher Aktivität.
Der Gutachter nennt zu all diesen Punkten keine konkreten nachvollziehbaren aktuellen Beobachtungen. Er äussert sich auch hierzu nicht zur Schwere der angeblich von ihm beobachteten Wesenszüge.
Nach den Grundlagen von lCD 10 müssten mindestens drei der Merkmale klar erfüllt sein.
25. Im Bereich von dissozialen Persönlichkeitsanteilen findet der Gutachter, lasse sich ein herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer erkennen. Dies zeige sich deutlich in seinen Angaben zur Lebensgeschichte, so dort wo er von anderen Personen, aber auch von Opfern spricht.
In Bezug auf die Opfer ist diese Feststellung nicht näher begründet, aber auch nicht relevant. Der Explorand ist auch gegenüber einem Gutachter nicht verpflichtet, über ihn belastende Begebenheiten irgendwelche Angaben zu machen. Dass Delinquenz, zumal wiederholt, ein sozial abweichendes Verhalten darstellt, genügt aber auch nicht, um daraus eine Persön lichkeitsstöru ng abzuleiten (FREYBERGER/SCHNEIDER/STIEGLITZ, Kompendium Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, S. 332 F 60.2: ,,Delinquentes oder kriminelles Verhalten allein rechtfertigt noch nicht die Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, auch wenn es wiederholt oder über einen längeren Zeitraum auftritt. Die Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung ist nur gerechtfertigt, wenn die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung nach lCD IO gegeben sind“). Andernfalls könnte jeder Mehrfachtäter alleine mit dieser Begründung „ohne aufwändige Gutachten“ als persönlichkeitsgestört weggesperrt werden. Dazu aber fehlt es (noch) an einer gesetzlichen Grundlage.
In Bezug auf die Lebensgeschichtsdarstetlung ist angesichts der vom Gutachter andernorts beschriebenen Niedergeschlagenheit und allgemeiner Affektarmut bei den Befragungen nicht auf eine krankhafte Persönlichkeitsstörung zu schliessen. (Gutachten, S. 59).
Über die Ausprägung (Schwere) dieser Störung werden ebenfalls keine Angaben gemacht, geschweige denn begründet. Es wird entgegen den Anforderungen der Kriterien nach lCD IO auch nicht ausgeführt seit wann dieses Merkmal besteht, und es wird auch nicht ausgeführt, dass bzw. woran ersichtlich sein soll, dass dieser Zustand andauernd ist und aktuell immer noch besteht.
Es sind auch in diesem Bereich nicht drei Merkmale beschrieben und es ist auch in diesem Bereich keine Gewichtung vom Gutachter zu erkennen.
26. Zwanghafte Persönlichkeitsanteile erkennt der Gutachter in einer „erhöhten Rigidität und Eigensinn. Er zeige eine übermässige Pedanterie“. Der Gutachter verweist in diesem Zusammenhang aber nur auf 5. 62 des Gutachtens. Dort hat er festgehalten: „Bezüglich zwanghafter Persönlichkeitszüge bestätigt er den klinischen Eindruck, ja er sei „jemand bei dem alles ganz genau und exakt sein müsse und Ordnung eine ganz grosse Bedeutung für ihn habe. Mit guter Ordnung behalte er den Überblick und er finde dann auch das jeweils, was er suche. Sauberkeit sei ihm auch sehr wichtig und einmal duschen am Tag sei das Minimum (er habe dann auch sehr unter der Untersuchungshaft gelitten, weil er dort nur zweimal in der Woche habe duschen können). Ja, er könne in manchen Dingen schon penetrant sein.“
Es bleibt unerfindlich, warum jemand krankhaft zwanghafte Persönlichkeitszüge aufweisen soll, wenn er einmal am Tag duschen möchte und das Prinzip pflegt, bei guter Ordnung behalte er den Überblick und finde dann auch jeweils das, was er suche.
Weshalb hierin eine „übermässige Pedanterie“ vorliegen soll, ist nicht nachfühlbar und auch nicht begründet. Es finden sich auch in den übrigen Unterlagen keine Hinweise auf eine derartige Veranlagung. Weder wird es von der Anstaltsleitung oder Vollzugspraxis irgendwie als auffällig im Alltag beschrieben noch hat der Gutachter selber einen konkreten Hinweis auf eine irgendwie geartete besondere Ordnungsversessenheit selber beobachtet (z.B. in der Zelle). Aus seiner Jugendzeit beschreibt er im Gegenteil, dass er kein Verständnis für die Lehrerin aufgebracht hat, die dauernd seine Hände habe sehen wollen, ob sie auch sauber seien, was bei ihm bei seiner Hilfe zuhause auf dem Hof bei der Versorgung der Kühe und anderen Tiere oft so gar nicht habe möglich sein können. Auch dass er in der Schule, als er mit der Feder schreiben musste, Tintenflecke an den Händen gehabt habe, sei die Lehrerin nicht zufrieden gewesen. Das er selber damals oder später eine übersteigerte Reinlichkeitsverpflichtung empfunden hat, ist nicht erfindlich (Gutachten, S. 29). Zwanghafte Persönlichkeitsstörung wird in der lCD I 0 Klassifikation F 60.5 wie folgt umschrieben:
1. Übermässiger Zweifel und Vorsicht.
2. Ständige Beschäftigung mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation oder Plänen.
3. Perfektionismus, der die Fertigstellung von Aufgaben behindert.
4. Übermässige Gewissenhaftigkeit, Skrupelhaftigkeit und unverhältnismässige Leistungsbezogenheit unter Vernachlässigung von Vergnügen und Zwischenmenschlichen Beziehungen.
5. Übermässige Pedanterie und Befolgen von Konventionen.
6. Rigidität und Eigensinn
7. Unbegründetes Bestehen auf der Unterordnung anderer unter eigene Gewohnheiten oder unbegründetes Zögern, Aufgaben zu delegieren.
8. Andrängen beharrlicher und unerwünschter Gedanken oder Impulse.
Kein einziges dieser Diagnosekriterien ist vorliegend aber erfüllt und belegt, weder für die Vergangenheit, geschweige denn für die Gegenwart.
Auch zu diesen Persönlichkeitsmerkmalen fehlt jeder Hinweis auf eine konkrete Ausprägung. Über die Ausprägung (Schwere) dieser Störung werden ebenfalls keine Angaben gemacht, geschweige denn begründet. Es wird entgegen den Anforderungen der Kriterien nach lCD IO auch nicht ausgeführt seit wann dieses Merkmal besteht, und es wird auch nicht ausgeführt, dass bzw. woran ersichtlich sein soll, dass dieser Zustand andauernd ist und aktuell immer noch besteht.
27. Der Gutachter beschreibt also insgesamt in keinem einzigen Fall warum konkret eine Persönlichkeitsstörung oder Aspekte davon bestehen sollen, geschweige den in welcher Ausprägungsart und er bestätigt insbesondere in keinem Fall vollkommen, dass dies anhand von konkreten Merkmalen aktuell noch bestehen soll. Insofern ist auch keine andauernde Persönlichkeitsstörung, die heute noch besteht, begründet erwiesen.
28. Weiter ist der Gutachter aufgefordert worden, die Problematik im Kontakt und Beziehungsverhalten, im Umgang mit Frustrationen und im Bereich der Sexualität zu umschreiben und zu spezifizieren und einen Bezug zu den konkreten Verhaltensweisen sowie zu den diagnostizierten Anteilen der Persönlichkeitsstörung des Verwahrten herzustellen.
Der Gutachter stellt, erneut ohne Begründung in den Raum, Probleme der Persönlichkeitsstörung wie die erhöhte Selbstbezogenheit, das gestörte Beziehungserleben, mit der Unfähigkeit, eine gleichberechtigt erscheinende Beziehung einzugehen, sowie das Unvermögen, mit Frustrationen umzugehen, zeige eine enge Verknüpfung zu einer devianten und einer kriminellen Sexualität, bei der mit Gewalt gegenüber Prostituierten ein Dôminanzerleben durchgesetzt werden. Diesen Handlungen falle damit „letztlich auch eine kompensatorische Funktion“ zu. Der Gutachter gibt nicht an, ob diese „enge Verknüpfung“ in der Literatur beschrieben ist (und wo), oder woraus sie sich sachlich ergeben soll. Vielmehr lässt er den schlichten Gemeinplatz als reine Hypothese im Raum stehen. Das aber erfüllt die Voraussetzungen an die gestellte Ergänzungsfrage gerade nicht.
Der Gutachter führt dann weiter aus, schaue man sich den Bereich der Affektivität des Expioranden nochmals näher an, so zeige sich aktenkundig gut festgehalten, das Problem der leichten Erregbarkeit, der verminderten Steuerungsfähigkeit in Bezug auf aggressive Emotionen, aber auch eine Neigung zu Stimmungseinbrüchen. Immer wieder seien Zeiten beschrieben, in denen der Explorand erhöht misstrauisch, verstimmt und moros sei. Der Gutachter erwähnt aber auch hier nicht, wo dies „aktenkundig gut festgehalten“ sei und welche Lebenszeit dies betroffen haben soll. Er verschweigt auch, dass er selber nichts dergleichen festgestellt hat:
Im Gutachten von 2010 hat er gar keine solchen damals aktuellen Beobachtungen erfasst und seither hat er den Exploranden nicht mehr exploriert. So heisst es (Gutachten S. 59) im Bereich der Affektivität ist nicht vom Vorliegen des Gefühls einer Ratlosigkeit zu sprechen. Der Explorand präsentiert sich insgesamt affektarm, das Spektrum der gezeigten Affekte ist gering . … Eine erhöhte Affektaffinität wie sie bei ihm als junger Mann vorbeschrieben wurde, lässt sich in der Untersuchung nicht erkennen, auch keine überschiessende Affekte im Sinne einer Affektinkontinenz. Vielmehr scheint der Explorand in der affektiven Modulationsfähigkeit vermindert (Affektstarr) . … Es ist auch von einer Antriebsgehemmtheit zu reden, wenn der Expiorand angibt, dass aufgrund körperlicher Beeinträchtigung und er sich in diesem Bereich gebremst fühle. Motorisch ist er ausgesprochen ruhig. Abnorme Bewegungen (Parakinesen) fallen nicht auf. Es besteht weder ein verminderter noch ein verstärkter Redefluss . … In Bezug auf Aggressivität lassen sich aggressive Verhaltensbereitschaften im Zusammenhang mit den Taten anamnestisch erkennen. In der Untersuchung selbst tritt er nie einmal aggressiv oder bedrohlich auf und jenseits der Taten (sexueller Kontext) liegen keine Angaben über dauernd erhöhte aggressive Verhaltensbereitschaften vor (Gutachten, S. 60).
Die „anamnestischen Tatbeschreibungen“ lagen schon im Zeitpunkt der Exploration 2010 acht Jahre zurück. Inzwischen sind es bald 13 Jahre. Ein annähernd aktueller Erkenntnisbefund durch eigene Erhebung für die in den Raum gestellte Hypothese gibt es im ganzen Gutachten nicht.
29. In Bezug auf die kognitiven Fähigkeiten zeige sich einerseits eine im Normbereich liegende Intelligenz bei wiederholter Testung (der Gutachter gibt nicht an welche Tests er meint) anderseits aber ein wenig guter Realitätsbezug.
Es handle sich denn auch bei der kognitiven Beeinträchtigung des Exploranden nicht um solche, die unmittelbar den Intelligenzbereich betreffen, wie z.B. das Allgemeinwissen, sondern es handle sich um sogenannte kognitive Verzerrungen, die als bei schweren Persönlichkeitsstörungen typisch angesprochen werden könnten.
Vorweg gibt der Gutachter auch hier nicht an, wo (in der Literatur?) „kognitive Verzerrungen“ bei schweren Persönlichkeitsstörungen (Persönlichkeitsstörungen welcher Art?) „als typisch beschrieben“ werden. Im Gutachten Börlin, welches zur heutigen Verwahrungsentscheidung geführt hat, wurde ausgeführt: „Die psychiatrische Abklärung ergibt eine deutlich unterdurchschnittliche Intelligenzanlage im Bereich der theoretischen, verbalen Fähigkeiten, ohne dass aber bereits von einer leichten Intelligenzminderung gemäss lCD I O im Sinne einer Debilität geredet werden könnte.“ Der Gutachter habe ein „WechslerIntelligenzprofil“ durchgeführt, welches die bereits vor Jahrzehnten bestätigte hirnorganische Problematik mit einer theoretischen Intelligenzminderung bestätige, ohne dass aber die Intelligenzminderung im theoretischen Bereich so schwergradig ausgeprägt wäre, dass von einer leichten Intelligenzminderung im Sinne einer Debilität geredet werden könnte. Es zeigten sich Hinweise einer hirnorganischen Beeinträchtigung, in dem die kognitiven Fähigkeiten, vor allem die Merkfähigkeit eingeschränkt seien, Im Benton Test, aber auch im Mosaik Test und in der Prüfung der Rechenfunktionen lässt sich eine organische Beeinträchtigung deutlich erkennen, ebenso im durchgeführten RorschachPersönlichkeitstest, welches ein typisches Bild für einen hirnorganisch geschädigten Menschen ergibt (Gutachten Börlin, S. 11, act. 5).
30. Entgegen der unbegründeten These des Gutachters, wonach die Intelligenz „bei wiederholter Testung im Normbereich“ liege, hat Gutachter Dr. Hiersemenzel selber gar keine solche Testung selber durchgeführt.
31. Der Gutachter gibt auch mit keinem Wort der Begründung an, weshalb beim Exploranden eine „schwere Persönlichkeitsstörung“ erfüllt sein soll. Die einzelnen Merkmale einer Persönlichkeitsstörung konnte er in sämtlichen Fällen mit nicht mehr als einem (regelmässig weit in der Vergangenheit liegenden) Kriterium nur vermuten, aber nirgends schlüssig belegen, schon gar nicht mit dem relevanten Kindheits , Dauerhaftigkeits und Aktualitätsbezug. Zur konkreten Schwere hat er sich bei keinem der Einzelbefunde geäussert, geschweige denn eine Begründung angegeben für einen „Schwerebefund“. Ebensowenig hat er die Aktualität des Befundes irgendwie begründet. Warum eine schwere Persönlichkeitsstörung vorliegen soll, ist schlechterdings unbegründet.
II. Zur Frage der Bedeutung somatischer Erkrankung
1. Entgegen der Darstellung des Gutachters trifft nicht zu, dass die Gefässerkrankung bereits in seinem Gutachten berücksichtigt worden ist und bekannt gewesen ist.
2. Bekannt war damals einschlägig nur eine Bluthochdruckproblematik. Das das Gutachten selber, aber das zeigt auch der Brief in den medizinischen Akten der JVA Pöschwies vom 2. Februar 2010 von Dr. Hirsemenzel im Rahmen der Begutachtung. Die ab Mitte 2011 aufgetretenen schweren Gefässerkrankungen sind seinerzeit nicht bekannt gewesen, ebensowenig die KHK im Stadium Il Il und auch im Gutachten nicht berücksichtigt worden. Ebensowenig ist eine generalisierte Arteriosklerose und eine chronische Niereninsuffizienz Stadium 2 bekannt gewesen und berücksichtigt worden.
3. Aufgrund der neuesten Befunde handelt es sich bei der koronaren Herzkrankheit (KHK) um eine drei Gefässerkrankung CSS2 NYHA Il Ill (Austrittsbericht Il. September 2014, Inselspital Bern). Der NYHA (New York Heart Association) Klassifikation ist zu entnehmen, dass im Stadium Il alltägliche körperliche Belastung Erschöpfung verursacht, bzw. Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina Pectoris. Der Zustand im Stadium Ill bedeutet, dass geringe körperliche Belastung Erschöpfung verursacht, Rhythmusstörung, Luftnot oder Angina Pectoris. Der Explorand befindet sich im Stadium II-III. D.h., so dass er bereits bei geringer körperlicher Belastung erschöpft ist, an Rhythmusstörung, Luftnot oder an Angina Pectoris zu leiden beginnt:
New York Heart Association Classification (NYHA Classification): Stadieneinteilung
NYHA I: Herzerkrankung ohne körperliche Limitation. Alltägliche körperliche Belastung verursacht keine inadäquate Erschöpfung, keine Rhythmusstörungen, keine Luftnot oder Angina pectoris.
NYHA II: Herzerkrankung mit leichter Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Keine Beschwerden in Ruhe. Alltägliche körperliche Belastung verursacht Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris.
NYHA III: Herzerkrankung mit höhergradiger Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei gewohnter Tätigkeit. Keine Beschwerden in Ruhe. Geringe körperliche Belastung verursacht Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris.
NYHA IV: Herzerkrankung mit Beschwerden bei allen körperlichen Aktivitäten und in Ruhe. Bettlägerigkeit.
Beweis: Kardiologisches Gutachten; Wikipedia, Stichwort NYHA Klassifikation mit Literaturhinweisen – Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch
4. Der Explorand leidet überdies an einer generalisierten Arteriosklerose, d.h. auch an einer zerebrovaskulären Verschlusskrankheit. Im Austrittsbericht vom 11. September 2014 des Inselspitals Bern, Universitätsklinik für allgemeine und Innere Medizin, heisst es, dass Herr Frei ein polymorbider Hochrisikopatient mit eingeschränktem Bewegungsumfang sei. Es müsse jederzeit mit einem lebensbedrohlichen kardialen Ereignis gerechnet werden. Die medizinischen Interventionen beinhalten lediglich Stabilisierung der aktuellen Situation, um die deutlich reduzierte Lebensqualität zu erhalten. Bei diesen klaren Befunden der Fachärzte für Innere Medizin kann offensichtlich nicht von einer völlig fehlenden Auswirkung der somatischen Beschwerden auf die Gefährdungsprognose gesprochen werden. Auch trifft entgegen dem Gutachter gemäss dem Inselspital Berns nicht zu, dass Beschwerden geheilt bzw. behoben werden. Der Bericht belegt das Gegenteil.
5. Angesichts der Tatsache, dass der Explorand bereits bei leichter körperlicher Betätigung ein Erschöpfungszustand erreicht, Luftnot und Angina Pectoris erleidet, erscheint ein Ausüben manueller physischer Gewalt bzw. nur schon das Aufsuchen eines Opfers als offenkundig medizinisch massivst eingeschränkt. Indem der Gutachter dies rundweg abstreitet, obwohl er kein Facharzt für die sich stellenden medizinischen Fragen ist, geht er in aktenwidriger Weise über klare aktenkundige aktuelle medizinische Befunde hinweg. Es geht ihm offenkundig darum, eine einmal vorgefasste Meinung unter allen Umständen zu vertreten. Eine Sicherungsmassnahme nach Strafgesetzbuch setzt aber eine „ernsthafte Gefährdung“ voraus.
6. Ob eine solche noch vorliegt, ist durch ein fachmedizinisches Gutachten, welches sich konkret mit der leistungs funktionalen medizinischen Situation des Exploranden korrekt befasst, abzuklären. Auch die Bedeutung der zusätzlichen Verschlusskrankheit und der Niederinsuffizienz und die Auswirkungen auf die medizinisch funktionale Leistungsfähigkeit sind zu klären.
7. Der psychiatrische Gutachter äussert sich dazu nicht und hat dazu auch keine Fachkunde. Nach den aktuellen medizinischen Befunden ist der Explorand todkrank und in seiner funktionalen Leistungsfähigkeit massivst eingeschränkt. Entsprechend ist sachlich und unvoreingenommen durch eine fachärztliche Abklärung die konkrete medizinisch funktionale Leistungsfähigkeit darzustellen.
8. Aus dieser schwerwiegenden somatischen Entwicklung mit starker Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt auch eine Veränderung der Verhältnisse, die eine aktuelle Exploration zur Beurteilung der Gefährdungsprognose erforderlich machen würde, damit das Gutachten die erforderliche Aktualität hat.
Entsprechend wird an den gestellten Beweisanträgen festgehalten.
Freundliche Grüsse
Anwalt B
Schreiben der Vollzugs-Fallverantwortlichen an mich
(Ablehnung der beantragten Versetzung nach der Therapiestation Gmünden)
Der Zweck der Offenlegung dieses kurzen Schreibens:
Es zeigt (als ein Beispiel von unzähligen), dass Verwahrte in der Schweiz menschenrechtswidrig auch nach Verbüssen ihrer Haftstrafe weiterhin unverändert (und ohne konkrete Perspektiven) unter Strafhaftregime in entsprechenden geschlossenen Anstalten einsitzen und dies jahre- und zunehmend sogar jahrzehntelang. Dies ungeachtet der stereotypen öffentlichen Beteuerungen seitens Politik und Justiz, dass eine „Verwahrung ja keine Strafe“ sei (wie es das Gesetz tatsächlich vorsähe). Offensichtlich aber scheinen Vollzugsbehörden und oft auch Staatsanwälte und vereinzelt gar Gerichte dabei unbeirrt vom Gegenteil auszugehen. Dies zeigt unter Vielen auch das vorliegende Schreiben der Vollzugs-Fallverantwortlichen an mich auf (…während der Strafverbüssung …“ [2. Absatz, 4. Zeile]). Es beantwortet meinen Antrag auf Versetzung in ein Massnahmezentrum abschlägig und verweist dabei auf die Justizvollzugsverordnung (welche sich hierbei explizit auf Gefangene in „Strafverbüssung“ bezieht) und wendet eben diese für Strafhaft gellenden Kriterien für eine Verlegung in ein Massnahmezentrum auf mich an, einem seit vielen Jahren über meine Haftstrafe hinaus inhaftierten Verwahrten. Obgleich menschenrechtswidrig kein Einzelfall, sondern vielmehr bei den weitaus meisten Verwahrten ein systematisches Vorgehen.
Die beigelegten medizinischen Unterlagen des Inselspitals Bern (in deren Hochsicherheitsabteilung wurde ich schon öfters notfallmässig eingewiesen) sind allenfalls für Leser mit medizinischen Kenntnissen von Interesse:
Sehr geehrter Herr Frei
Lisa Maerki, Zürich, 27. November 2013
Frau C. Piccot Jaeger ist bis am 1. Juni 2014 abwesend. In dieser Zeit bin ich als Stellvertretende Fallverantwortliche für Ihre Anliegen zuständig. Ich bedanke mich für Ihr Schreiben vom 21. November 2013. Betreffend Ihre Bitte um sofortige Versetzung in die Strafanstalt Gmünden erlaube ich mir auf § 58 der Justizvollzugsverordnung des Kantons Zürich (JW) zu verweisen, wonach die verurteilte Person während der Strafverbüssung in eine andere gleichartige Vollzugseinrichtung versetzt werden kann, wenn dies auf Grund der Beschäftigungs‑ oder Ausbildungssituation, aus gesundheitlichen Gründen, aus Sicherheitsgründen oder zur Optimierung der Insassenzusammensetzung erforderlich ist. Bei Ihnen liegt derzeit keine dieser Voraussetzungen vor. Insbesondere da die Abteilung für Suchtgefährdete und Pensionäre (ASP) der JVA Pöschwies, auf der Sie gegenwärtig untergebracht sind, gerade für Insassen mit somatischen Erkrankungen bestimmt ist. Zudem hat eine verurteilte Person gemäss § 58 Abs. 3 JVV keinen Rechtsanspruch auf Versetzung in eine Vollzugseinrichtung ihrer Wahl. Demnach kommt für Sie derzeit für den Vollzug Ihrer Massnahme keine andere Institution wie die JVA Pöschwies in Frage. Falls Sie zusätzlich zu diesem Schreiben eine rekurable Verfügung wünschen, bitte ich Sie oder Ihren Rechtsvertreter um entsprechende Mitteilung.
Bezüglich Ihrer im selbigen Schreiben formulierten Bitte um Entlassung ersuche ich Sie um Mitteilung, ob Sie damit einen Antrag um bedingte Entlassung aus der Verwahrungsmassnahme nach Art. 64a StGB stellen. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie darüber in Kenntnis setzen, dass einerseits Ihre Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Februar 2013 am Bundesgericht hängig ist sowie die Verwahrungsüberprüfung zur Neubeurteilung an das Bezirksgericht Affoltern zurückgewiesen wurde. Freundliche Grüsse
Bewährungs‑ und Vollzugsdienste Vollzug 3 Straf‑ und Massnahmenvollzug 3 lic. jur. L. Maerki Stellvertretende Fallverantwortliche
Mein Anwalt reagiert auf ein Schreiben des Direktors der JVA Lenzburg Abt. "60 plus".
Dabei findet er deutliche Worte:
Dieses Schreiben möchte indirekt aufzeigen, wie Vollzugsverantwortliche zuweilen reagieren, wenn sie vom Rechtsvertreter eines Gefangenen besorgte Nachfragen betreffs der medizinischen Versorgung seines Mandanten mit langer Krankheitsgeschichte bekommen (hier von Seiten der Leitung der JVA Lenzburg). Das anwältliche Antwortschreiben spricht Bände…
Rechtsanwalt B
Sehr geehrter Herr Ruf
Ihr Schreiben vom 26. August 2013 habe ich erhalten. Den Inhalt mag ich nicht nachzuvollziehen.
Ihrem Schreiben ist eine (streckenweise leider auch unsachliche) Abwehrhaltung gegenüber der gebotenen unabhängigen Abklärung im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung von Herrn Frei zu entnehmen.
Es hilft dazu nichts, wenn Sie versuchen, Herrn Frei mit angeblichen „Falschaussagen“ zu diskreditieren. Die medizinischen Fakten werden von dazu berufenen unabhängigen Fachleuten zu klären sein. Ich gehöre nicht dazu. Sie auch nicht. Auf ihre Sachdarstellung einstweilen nur soviel:
Herr Frei leidet bekanntermassen an einer multiplen Gefässerkrankung, wozu auch eine bekannte Herzgefässerkrankung gehört
Die Fahrradergometrie am KS Aarau musste abgebrochen werden wegen lnfarktgefahr (es wurde Herrn Frei, der medizinsicher Laie ist, jedenfalls so erklärt). Es trifft zu, dass im medizinischen Bericht steht, dass der Abbruch erfolgte wegen Leistenschmerzen und Wadenkrämpfen bei Bluthochdruck im Ruhezustand. Bluthochdruck (Hypertonie) ist aber einer der vier „grossen“ lnfarktrisiken (Beweis: Gutachten). Bei der Fahrradergometrie ist Blutdruckanstieg auch ein medizinisch gebotenes Abbruchkriterium (Beweis: Gutachten).
Am 4. August 2013 hat Herr Frei wegen einer hochgradigen Gefäss-Stenose (Gefässverengung) im ersten Diagonalast sowie des dritten Marginalastes (beides Herzkranzgefässe) notfallmässig an die Kardiologie am KS Aarau verlegt werden müssen, wo diese Stenosen je mit einem Stent anlässlich einer Notoperation invasiv versorgt werden mussten. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird ein solcher Vorfall als Herzinfarkt bezeichnet und Herr Frei hat diese Bezeichnung auch in seinem Zusammenhang im Spital vernommen. Er wird auch mit den typischen Medikamenten nach Infarktereignis versorgt. Ob es dabei auch medizinisch ein „Herzinfarkt“ gewesen ist, sollen, wenn es denn darauf genau ankommt, die medizinischen Sachverständigen bestimmen. Eine in jeder Situation gültige Definition des Herzinfarktes existiert in der Medizin nicht. Allgemein ist akzeptiert, dass der Begriff Herzinfarkt den Zelltod von Herzmuskelzellen auf Grund einer länger dauernden Durchblutungsstörung (!schämie) beschreibt (Wikipedia mit Hinweis auf Fachliteratur; ähnlich Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. A.; Beweis: Gutachten).
Dass Herr Frei am Sonntag morgen zweimal kollabiert ist, wurde ihm selber so berichtet. Warum Sie das abstreiten, ist unerfindlich. Herr Frei musste in einem akuten Notfallzustand nach Aarau verbracht werden.
Herrn Frei ist nicht zum ersten Mal erst dann fachmedizinische Hilfe gewährt worden, nachdem sich ein akuter Notfalizustand ergeben hat. Dies obwohl er hier im Voraus über einschlägige Brustschmerzen geklagt hat.
Es ist ein Gebot meiner beruflichen Sorgfaltspflicht, darauf hinzuwirken, dass unabhängig abgeklärt wird, ob die medizinische Versorgung von Herrn Frei dem gesetzlich geforderten Standard entspricht. Bei unaufgeregter Reflexion sollten auch Sie zum Schluss kommen, dass eine korrekte und umfassende sachliche Abklärung der Vorgänge, ohne vorschnelle Behauptungen über angebliche Abläufe und Hintergründe, auch im wohlverstandenen Interesse Ihrer Einrichtung liegen könnte, sofern sich durch die Abklärung weiteres ein Optimierungspotenzial ergibt, aber auch sofern die unabhängige Abklärung alles erfolgte und nicht erfolgte gutheissen sollte.
Dass bei Ihrem Betreuungspersonal in punkto medizinischer Betreuung die Ausbildung fehlt und eine auf Abstandhalten geschulte Umfangsform gepflegt wird, hat zumindest Herr Bruno Graber, Leiter Zentralgefängnis, zur betreffenden Abteilung jüngst in der Fernsehsendung „Schweiz aktuell“ auch selber öffentlich bestätigt. Herr Frei hat indessen bestätigt, dass nach seinem Eindruck die Betreuer seine Anliegen ernst genommen hätten. Nur weiss er nicht, was daraus im Folgenden wurde.
Herr Frei hat mir die Vorgeschichte seines jüngsten Noffallaufenthaltes plausibel geschildet und ich habe dies ebenso differenziert der Vollzugsbehörde dargelegt. Die Einzelheiten sind unabhängig abzuklären. Es wird nicht damit getan sein, dass Sie, der Sie selber nicht am Ort des Geschehens anwesend waren, den Vorgang bestreiten oder verharmlosen.
Es erscheint auch nicht als zielführend, dass Herrn Frei bei einer „Befragung“ der Anstalt vom 22. August 2013 (deren Ergebnis er anders darstellt als Sie) bereits mit einer Verlegung gedroht wurde.
In Bezug auf das angebliche Verhalten von Herrn Frei selber im Zusammenhang mit seinen Schmerzattacken im Brustbereich vor dem erneuten Notfallereignis habe ich ebenfalls klar andere Informationen als die von Ihnen behaupteten Angaben von Herrn Frei.
Insbesondere trifft nach Angabe von Herrn Frei auch nicht zu, dass er auf eine fachmedizinische Behandlung gar „verzichtet“ habe.
Im Rahmen der administrativen Untersuchung sind die erforderlichen Abklärungen durch eine unabhängige Stelle sorgfältig zu erheben. Herr Frei wird und muss dort auch die Gelegenheit erhalten, unbeeinflusst die erforderlichen Fragen selber protokollarisch zu beantworten.
Zwischen dem Anwalt einer verwahrten Person und der Verwahrungseinrichtung muss schliesslich kein irgendwie definiertes „Vertrauensverhältnis“ bestehen. Es besteht hier auch nicht; wohlverstanden: weder im guten noch im schlechten Sinn. Ein Anwalt hat als aussenstehende Person auch überhaupt keine Möglichkeit und auch keinen Anlass, die Vertrauenswürdigkeit einer solchen Einrichtung unabhängig selber zu bewerten.
Wenn sich allerdings ungewöhnliche Vorfälle häufen, muss es dem Betroffenen und seinem Anwalt gestattet sein, auf eine unabhängige Abklärung und gegebenenfalls Verbesserung der Situation hinzuwirken, und zwar ohne jede Drohkulisse.
Freundliche Grüsse
Anwalt B
Kopie z.K.: Amt für Justizvollzug Kanton Zürich, Frau C. Piccot Jaeger Amt für Justizvollzug Kanton Aargau, Herr Dr. P. Payllier
Inselspital Bern Operationsbericht vom 17. Juni 2015
Verwahrungsüberprüfung
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren
In obgenannter Angelegenheit beziehe ich mich auf Ihre Verfügung vom 14. Januar 2015 (hierorts eingegangen am 23.01.2015) und nehme zum Schreiben von Dr.med. Thomas Staub an den amtlichen Verteidiger von Alexander Frei vom 9. Januar 2015 (ein Spitalbericht vom 09.01.2015 lag der Verfügung vom 14. Januar 2015 nicht bei) innert Frist wie folgt Stellung:
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich Dr.med. Thomas Staub in seinem Schreiben vom 9. Januar 2015 bei der Beantwortung der Fragen des amtlichen Verteidigers, deren Inhalt! Wortlaut nicht bekannt ist, eigenen Ausführungen zufolge weitgehend auf den anlässlich der letzten Hospitalisierung des Verwahrten im Inselspital Bern erstellten, offenbar unverändert aktuellen Bericht abstützt. Dieser vom 11. September 2014 datierende Spitalbericht lag bereits Dr. med. Lutz‑Peter Hirsementzel für die Erstellung des Ergänzungsgutachtens vom 13. Oktober 2014 vor und fand darin Berücksichtigung (Urk. 168, S. 5, 18 if.).
2. Festzuhalten ist des Weiteren, dass der medizinische Zustand von Alexander Frei gemäss dem Schreiben von Dr.med. Thomas Staub seit Monaten stabil ist. Dies zeigt auch der Umstand, dass es in den letzten Monaten offenbar zu keiner weiteren Hospitalisierung des Verwahrten gekommen ist. Zudem sind die Aussagen über den Gesundheitszustand des Verwahrten im September 2014 nach Einschätzung von Dr.med. Thomas Staub unverändert aktuell.
Wie den beiliegenden, der Oberstaatsanwaltschaft am 6. Februar 2015 zur Kenntnis gebrachten Akten des Amtes für Justizvollzug ausserdem entnommen werden kann, ist es keineswegs so, dass bei Alexander Frei die Hafterstehungsfähigkeit nicht mehr gegeben wäre, wie der amtliche Verteidiger im Schreiben vom 12. Januar 2015 geltend macht. Dr.med. Thomas Staub versicherte dem Amt für Justizvollzug am 12. Januar 2015 auf Nachfrage hin, dass bei Alexander Frei zurzeit Hafterstehungsfähigkeit bestehe (Beilagen 2 und 3). Dies teilte das Amt für Justizvollzug auch dem amtlichen Verteidiger am 14. Januar 2015 mit (Beilage 4), wobei ausgeführt wurde, dass Alexander Frei demnach weiterhin in der JVA Pöschwies bleiben könne und eine sofortige Versetzung auf die Bewachungsstation des Inselspitals Bern nicht angezeigt sei. Das Amt für Justizvollzug ist daran, nach einer Langzeitlösung hinsichtlich der Unterbringung des Verwahrten zu suchen. In diesem Kontext wäre allenfalls zu prüfen, so das Amt für Justizvollzug im Schreiben an den amtlichen Verteidiger vom 14. Januar 2015 weiter, ob dem Gutachter Ergänzungsfragen betreffend geeigneter Nachfolgeinstitutionen für den Verwahrten gestellt werden sollten (Beilage 4).
Nachdem geklärt ist, dass der Verwahrte hafterstehungsfähig ist, erweist sich ferner auch die Frage eines Haftunterbruchs als überholt. Dass Dr.med. Thomas Staub im Schreiben vom 9. Januar 2015 einen Haftunterbruch aus medizinischer Indikation als angebracht bezeichnet hat, bedeutet zudem ohnehin nicht, dass er einen solchen unter Berücksichtigung. sämtlicher im konkreten Fall massgeblichen Aspekte, so auch des Sicherheitsaspekts, befürwortet. In seinem Schreiben wird weder zur Gefährlichkeit noch zur Behandelbarkeit von Alexander Frei Stellung genommen, woraus erhellt, dass auch die Aussage betreffend Haftunterbruch einzig unter dem Aspekt der somatischen Beschwerden des Verwahrten erfolgte. Dazu, ob ein Haftunterbruch unter Berücksichtigung sämtlicher massgebenden Aspekte, so insbesondere des Sicherheitsaspekts, angebracht wäre, hat sich Dr.med. Thomas Staub nicht geäussert.
3. Die Oberstaatsanwaltschaft hat letztmals in der Vernehmlassung vom 17. November 2014 festgehalten, dass für die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme nach Art. 59 StGB bei Alexander Frei klar kein Raum besteht; es fehlt an den dafür notwendigen Voraussetzungen, so der hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch die stationäre therapeutische Massnahme die Gefahr weiterer Straftaten über die
Dauer von fünf Jahren deutlich zu verringern (BGE 134 IV 315). Gleiches gilt selbstredend auch für die anderen therapeutischen Massnahmen (vgl. auch Vernehmlassung der Oberstaatsanwaltschaft ans Obergericht vom .29.08.2013, S. 7). Daran vermag auch das Schreiben von Dr.med. Thomas Staub nichts zu ändern, zumal es sich ‑ wie bereits erwähnt ‑weder zur Gefährlichkeit noch zur Behandelbarkeit von Alexander Frei äussert, sondern v.a. auf gewisse Vollzugsschwierigkeiten der JVA Pöschwies im Fall des Verurteilten (etwa fehlende Rollstuhlgängigkeit) hinweist. Damit ist bei Alexander Frei gemäss Ziff. 2 Abs. 2 der Schlussbestimmungen zum StGB die Weiterführung der Verwahrung nach neuem Recht zwingend.
Die Oberstaatsanwaltschaft geht zwar mit dem Amt für Justizvollzug einig, dass es sinnvoll ist, betreffend die Unterbringung des Verwahrten nach einer geeigneten Langzeitlösung zu suchen und in diesem Kontext allenfalls Ergänzungsfragen an den Gutachter zu stellen (vgl. dazu Beilage 4). Allerdings wären solche Fragen nicht im Rahmen der Verwahrungsüberprüfung zu stellen und zu beantworten, sondern im Rahmen des Vollzugs der derzeit noch bestehenden altrechtlichen bzw. von der Oberstaatsanwaltschaft unverändert beantragten nach neuem Recht weiterzuführenden Verwahrung.
Mit vorzüglicher Hochachtung Der Oberstaatsanwalt
Verfügung des Bezirksgerichts Affoltern a/A.
Es werden die Parteien zur Stellungnahme auf die Vernehmlassungen vom 17. und 18. November 2014 aufgefordert.
Dass schon meine, bzw. meines Anwalts früheren Eingaben, welche zuhauf Hinweise auf und Belege für meinen sich verschlechternden gesundheitlichen Zustand enthielten, kaum Wirkung auf das Verfahrens-‚Tempo‘ zeitigten, ergibt sich aus der langen Zeit (nahezu 2 Monate), die seit den Vernehmlassungen bis zu dieser Verfügung verflossen ist. Dass nun auch der aktuelle Arztbericht, oder vielmehr die ‚Intervention‘ darauf durch die Vollzugs-Fallverantwortliche, für die Justiz keinerlei Veranlassung zu besonders eiliger Fallbehandlung gab, zeigt sich in der Frist von wiederum 20 Tagen, welche den Parteien für ihre Stellungnahme gewährt wird. Dies, obschon auch gemäss Inselspital bei mir „jederzeit mit einem kardialen, lebensbedrohlichen Ereignis gerechnet werden“ muss (Bericht Inselspital Bern vorn 08.09.2014, S. 3 unten) und, gemäss aktuellem Pöschwies-Arztbericht „die Gefahr“ bestehe, dass mir „bei einem Notfallereignis (Bsp. Herzinfarkt, Hirnschlag, wofür er ein Hochrisikopatient darstellt!) nicht unmittelbar die korrekte medizinische Hilfeleistung zur Verfügung steht.“
Bezirksgericht Affoltern
in Sachen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Alexander Frei, JVA Pöschwies, Verwahrter, amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Dr. iur B betreffend Verwahrungsüberprüfung
Nach Eingang der Vernehmlassungen vom 17. und 18. November 2014 zum Ergänzungsgutachten vom 13. Oktober 2014 (act. 174 und 175) sowie des Schreibens des Verteidigers vom 12. Januar 2015 (act. 176) unter Beilage eines Spitalbericht von Dr. med. Thomas Staub, Leiter Arztdienst der JVA Pöschwies, vom 9. Januar 2015 als Beilage wird verfügt…
1. Den Parteien werden die Vernehmlassungen vom 17. und 18. November 2014 zur Kenntnisnahme zugestellt.
2. Der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich wird eine Frist von 20 Tagen ab Zustellung dieses Entscheids angesetzt, um schriftlich und im Doppel zum Spitalbericht von Dr med. Thomas Staub vom 9 Januar 2015 Stellung zu nehmen. Bei Säumnis würde Verzicht auf Stellungnahme angenommen.
3. Schriftliche Mitteilung, je gegen Empfangsschein, an den amtlichen Verteidiger, die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, zHd. Frau Barbara Rohner, Bewährungs‑ und Vollzugsdienste, Feldstr. 42, 8090 Zürich, zur Kenntnisnahme…