Rundbrief 12
Liebe Mitglieder, liebe Gönnerinnen und Gönner,
Sehr geehrte Damen und Herren
Aus verschiedenen Gründen wurde bisher seit dem Frühjahr kein Rundschreiben mehr versandt. Zum einen war der Schreiber diesen Sommer durch persönliche Angelegenheiten weitgehend absorbiert (Revisionsverfahren dank neuem Unschuldsbeweis, derzeit hängig beim Bundesgericht – siehe dazu Berichte in der Neuen Zürcher Zeitung [NZZ] vom 4. Juni und vom 13. Juli 17). Der zweite Grund hat mit dem sogenannten Gesetz von Angebot und Nachfrage zu tun: die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die ,Nachfrage‘, also das Interesse der Leserschaft an unseren Rundschreiben, insgesamt sehr gering ist, so gering, dass es den jeweiligen Aufwand eigentlich nicht zu rechtfertigen vermöchte. Auch zeugen Gespräche mit Mitgliedern häufig von völliger Unkenntnis der Inhalte unserer Veröffentlichungen, mit anderen Worten, sie wurden von diesen kaum oder gar nicht gelesen.
Das soll nun aber keineswegs etwa als Vorwurf verstanden werden! Selbstverständlich steht es jeder und jedem frei, etwas zu lesen oder nicht. Mangelndes Interesse an einzelnen Rundschreiben allein kann auch nicht etwa als Zeichen von Untreue, nicht einmal unbedingt von grundsätzlichem Desinteresse gedeutet werden. Viele Mitglieder, allen voran wohl die Betroffenen Mitglieder, hoffen einfach nur auf möglichst sie direkt betreffende positive Auswirkungen aus unser aller Bemühungen für eine fairere Justiz in unserem Land. Sie möchten übers Jahr hinweg gar nicht unbedingt über die einzelnen Schritte der IG-Fw und der Vereinsleitung hierfür informiert werden („nur Resultate zählen“).
Dass Resultate zu liefern äusserst schwierig ist für einen Verein wie den unseren, welcher eine Interessengemeinschaft jener Minderheit im Lande vertritt, die von allen Minderheiten wohl am wenigsten bis gar keinen Rückhalt in der Gesellschaft erfährt, das ist bestimmt allen klar. Wir selber können gar keine Resultate erzeugen; das könn(t)en nur die Vollzugs- und Gerichtsverantwortlichen und/oder die Gesetzgeber.
Wir müssen uns, nebst begrenzten individuellen Hilfen und Betreuungen, vor allem dafür einsetzen, möglichst viele Menschen im Land über die Missstände im Massnahmenvollzug, die Grundrechtswidrigkeiten, die Menschenrechtsverletzungen aufzuklären. Wir müssen versuchen, mit unseren beschränkten Mitteln der Aufhetzung und Verängstigung der Bevölkerung etwas entgegen zu setzen.
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Selbst das ist alles andere als leicht, besonders mit den sehr begrenzten Mitteln, welche einem in der Haft zur Verfügung stehen. Am Anfang wurde ich immer wieder aufgefordert, „doch einfach Strafanzeige einzureichen gegen den Vollzug und gegen die Justiz“. Das haben andere schon vergeblich versucht und teilweise dabei auch viel Geld für Anwälte ausgegeben. Wir von der IG-Fw sind auch schon einmal mit einem Versuch, über ein Beschwerdeverfahren bis hin zum Europäischen Gerichtshof kläglich gescheitert.
Weder die Justiz- noch die Vollzugsverantwortlichen sind daran interessiert, dass ihr Vorgehen in Zweifel gezogen wird und schon gar nicht daran, Strafverfahren gegen ihre eigenen Leute auch schon nur anhand zu nehmen. Und auch die Medien folgen dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, sprich: sie berichten darüber, was der Stimmung der Bevölkerung am ehesten entspricht und somit die Auflagen und damit die Werbeeinnahmen erhöht.
Auch Vollzugsverantwortliche, Gerichtsgutachter und Richter sind in ihren Beurteilungen und Urteilen nicht gefeit vor dem Einfluss gesellschaftlicher Erwartungshaltung. Auch da wirkt, mehr oder weniger offensichtlich, das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Das durch jahrelangen Populismus aufgehetzte und verängstigte Volk schreit nach Härte im Straf- und Massnahmenvollzug. Und nach Verwahrung.
Um Veränderungen zu bewirken, sollten wir daher (weiter) alles daran setzen, die „Nachfrage“ in der Gesellschaft zu beeinflussen. Dies kann nur durch möglichst breite Gegenaufklärung gelingen. Aufklärung gegen die über die vergangenen gut zwei Jahrzehnte andauernde Volksaufhetzung, gegen den demokratiefeindlichen Sicherheitswahn, gegen die heutige Verwahrungsmanie, welche nicht nur Milliarden Steuergelder grösstenteils unnötig verschleudern, sondern vor allem immer mehr Menschen über Jahre und Jahrzehnte unter qualvoller Ungewissheit und weitgehend Perspektivlosigkeit in Strafanstalten dahinsiechen lassen.
Unsere Ziele sind nicht unrealistisch! Die Wahrheit ist auf unserer Seite: So zum Beispiel haben sich laut diversen Langzeitstudien zwischen 75% und 90% von sogenannten Gefährlichkeitsgutachten als „false positives“ herausgestellt. Die grosse Mehrheit aller Verwahrten (nach Art. 59 bzw. 64 StGB) leidet demnach völlig unnötig über ihre Haftstrafe hinaus jahrelang in Strafanstalten oder anderen Vollzugseinrichtungen. Es gilt also, nicht zuletzt darüber aufzuklären. Und darüber, dass Aussagen, wie „Lieber ein paar zu viel als einen zu wenig wegsperren!“ einer freiheitlichen Demokratie und überhaupt eines jeden Menschen unwürdig sind.
Um unsere Chancen zu maximieren, brauchen wir, zusätzlich zu einer Basis von betroffenen Mitgliedern, auch Menschen mit gesellschaftlichem Einfluss. Solche zu motivieren, war bisher und betrachten wir weiterhin als eines unser vordringlichsten Aufgaben. Mit dem Vereinsbeitritt in den letzten Jahren von einer Reihe von renommierten Fachpersonen und gut situierten Mitmenschen sind wir gut unterwegs! Der Weg bis hierher war lang und auch nicht gerade leicht. Wir wollen ihn aber unbeirrt weiter gehen.
Mit bestem Dank für Ihre Treue und mit freundlichen Grüssen
Beat Meier
MEDIENHINWEISE
Beiliegend Hinweise auf zwei sehr bemerkenswerte WOZ-lnterviews
(Für inhaftierte Mitglieder auf Verlangen kostenlose Kopien – bei „Fair-wahrt?“!)
In der Wochenzeitung (WOZ) vom 7. September 2017:
KLEINE VERWAHRUNG
„Das ist wie bei einem Auto ohne Bremsen“
RA Stephan Bernard im Interview mit Chefredakteurin Susan Boos
Zitate aus dem Interview mit RA Stephan Bernard:
„Wenn man alle Delikte verhindern möchte, muss man alle Männer zwischen vierzehn und vierzig einsperren, präventiv … Die Gesellschaft muss sich aber fragen:
Wie viele ‚false positives‘ erträgt es, um einen ‚false negative‘ zu erwischen … “
„ … und – ganz wichtig – ein Verwahrter müsste wegen der Tragweite seiner Situation dauerhaft eine Verteidigung bezahlt bekommen … Ganz klar, das Teilnahmerecht (für den Verteidiger) bei Gutachten müsste gewährleistet sein.“
In der Wochenzeitung (WOZ) vom 14. September 2017:
MEDIZIN UND GESELLSCHAFT
„Schizophrenie ist ein magisches Wort mit unheilvoller Wirkung“
Psychiatrieethiker Dr. Marc Rufer im Interview mit Chefredakteurin Susan Boos
Zitate aus dem Interview mit Dr. Marc Rufer:
„Der Übergang von der Strafjustiz zur Psychiatrie ist fliessend.“
„Psychopharmaka, insbesondere die Neuroleptika, mit denen Schizophrenie und bedenkenlos viele weitere Auffälligkeiten des Befindens behandelt werden: Dass sie neurotoxisch (giftig für das Nervensystem) sind ist seit Jahrzehnten bekannt.“
„Genau die Symptome also, die die Psychiater zu behandeln vorgeben, … werden durch ihre eigenen Eingriffe potenziert, verfestigt, ja sogar neu erschaffen.“
„Das Wichtigste wäre, ganz auf die psychiatrische Diagnostik zu verzichten.“