An die Hauptversammlung 2017 des Fördervereins der IG „Fair-wahrt?“
(Verfasst in der JVA Pöschwies, Regensdorf, 4.-5. Februar 2017)
Liebe Freunde, Mitglieder und Gäste
Ich danke Euch, dass Ihr so zahlreich gekommen seid. Nun, vielleicht nicht so reich an der nackten Zahl, aber jede und jeder Einzelne von Euch kann uns im Streben nach unseren Zielen bereichern. Durch aktive Teilnahme am Gespräch, mit Ideen, Vorschlägen oder vielleicht gar neuen Angeboten. Und gerne auch mit konstruktiver Kritik.
Physisch bin ich leider abwesend, doch von hier aus begleiten meine Gedanken dieses Treffen. Mein Freund und ehemaliger Mitverwahrter Willy S. vertritt mich heute Abend. Ich danke ihm dafür und für seine immer wieder hilfreichen Dienste als unser Versandchef.
Seine sehr gute Bewährung über mehr als zwei Jahre in Freiheit verdient unseren grossen Respekt. Und unseren Dank, denn er ist Beispiel für Andere unter uns und beweist den Justizbehörden und der Gesellschaft, wie leicht sich die heute mit soviel Macht ausgestattete Gerichtspsychiatrie irren kann. Mindestens ebenso leicht wie irgend ein Metereologe. Wer würde es schon ernst nehmen, wenn ein Solcher uns z.B. „Ständige Gefahr extrem schweren Hagelschlags“ gleich für die nächsten fünf Jahre Voraussagen und Allen empfehlen würde, sich besser dauerhaft in einem fensterlosen Bunker in Sicherheit zu bringen?
Der Vergleich mag hinken, aber im Unterschied dazu haben wir keine Wahl; wir werden gleich zwangshaft eingebunkert. Weil die Gerichtspsychiatrie selber an ihre eigene ‚Wetterprognose‘ Uber unsereinen glaubt. Welche sie in erster Linie von der „Gewissheit“ ableitet, wir hätten unsere Gefährlichkeit durch Straftaten bewiesen.
Im übrigen stützen sich Gutachterinnen auf statistische Hochrechnungen (wie der Metereologe), auf Aktenlektüre, auf einen Blick in des Exploranden Kindheit und zuletzt – wohl nicht selten erst nach schon vorgefasster Meinung – auf Gespräche mit dem oft schon durch lange Haftjahre geschädigten Gefangenen. Gespräche, deren Wiedergabe im Gutachten man einfach glauben soll, da sie nie aufgezeichnet oder auch nur protokol1iert werden.
Und dies möchte ich gerne als eins von zwei besonders wichtigen Anliegen zur Diskussion anregen: Gespräche mit Gerichtsgutachterinnen und mit Therapeutinnen müssten zwingend aufgezeichnet werden! Sonst ist der Verwahrte jeglicher Willkür schutzlos ausgeliefert. Bei Begutachtungsgesprächen müsste ein Verteidiger zugelassen werden.
Aussagen jedes gewöhnlichen Diebes werden Protokolliert, bei Strafuntersuchungen werden Gespräche auch auf Band gespeichert. Ausserdem steht einem das Recht auf einen Anwalt der ersten Stunde zu.
Die Gutachterperson schreibt, was sie will und nichts wird aufgezeichnet, anwältlicher Beistand dabei verweigert. Steht am Schluss die Empfehlung einer geschlossenen Massnahme nach Art. 59 oder 64, so ist das, eben, „nur eine Empfehlung“, bar jeder Verantwortung für das zukünftige Eintreten oder nicht der Prognose.
Die RichterInnen ihrerseits fällen zwar das Urteil, ihnen sind aber, wie ich selber schon hören musste, „Die Hände gebunden“; sie müssten sich auf das Gutachten stützen.
Wie diese heutzutage, fühlen sich besonders auch GerichtspsychiaterInnen unter enormem Druck durch den heute vorherrschenden Sicherheitswahn. Im Zweifel lieber wegsperren, als sich später öffentlich erklären zu müssen. Gewisse Akteure bei den Sensationsmedien säen mit überrissenen und nicht selten irreführenden Schlagzeilen die Saat für Angst und Hass im Land und eine breite Öffentlichkeit sieht in jedem präventiv Weggesperrten eher ein gefährliches Raubtier als einen der Ihrigen.
Das bringt mich zu meiner zweiten Diskussionsanregung: Wir sollten uns fragen was wir Alle tun können, um mitzuhelfen, die Öffentlichkeit möglichst breit und effizient aufzuklären: Es werden eben nicht mehrheitlich oder gar ausschliesslich „die schlimmsten Verbrecher“ verwahrt oder für endlose Therapiemassnahmen in geschlossene Anstalten versorgt!
Die heute anwesende Frau Susan Boos hat mit einer Reihe von objektiven Berichten schon wertvolle Arbeit dazu geleistet und will, äusserst verdankenswerterweise, noch mehr dafür tun. Hierzu verweise ich auf die im Anhang zum Jahresbericht aufgelisteten WOZ- und anderen Publikationen, sowie auf viele frühere versandte und auf unserer HP veröffentlichte Beiträge von Dritten und von mir. Zudem auch auf meinen in der Wochenzeitung Nr. 3/2016 veröffentlichten Leserbrief.
Aus Verzweiflung habe ich seinerzeit mit einer Handvoll Schicksalsgenossen die Interessengemeinschaft „Fair-wahrt?“ gegründet. Dies, nachdem ich über so viele Jahre praktisch ohnmächtig Zusehen musste, wie meine Argumente und die der Verteidigung übergangen oder mit teils widersinnigen Begründungen abgewiesen wurden, wie Haftüberprüfungen meist reine Farce waren, wie ein PPD-Psychologe und diverse Gutachterinnen ihnen gegenüber gemachte Aussagen später ins glatte Gegenteil verdrehten, wie mich damals Aufseher, getrieben von unverhohlenen Vorurteilen, regelrecht mobbten und zunehmend meiner Rechte beraubten.
Dies alles trotz der Unterstützung durch meine vielen Freunde und wohlwollenden Bekannten und trotz dem durch sie ermöglichten, doch hochprofessionellen, unermüdlichen Einsatz eines rennomierten Rechtsanwalts. Darum habe ich mich entschlossen, an die Öffentlichkeit zu appellieren, wissend, dass ich dazu aufgrund des ‚Zeitgeistes‘ und bei meiner äusserst negativen Öffentlichkeit denkbar schlechte Karten habe.
Ich fragte mich: wieviel kleiner sind da die Chancen auf Gerechtigkeit für einen im Schreiben und auch sonst unbeholfenen Mitgefangenen, besonders wenn Einer draussen weder für ihn kämpfende Angehörige oder mutige Freunde, noch Geld hat?
Wenn ich mich so machtlos fühle, wie muss es in deren Innerem Aussehen?
Lektüre von Akten unzähliger Mitgefangener über die Jahre zeigten: mein Fall ist kein Einzelfall. Ich war beseelt vom Sprichwort der Einigkeit, die stark macht und, angesichts dem Ableben von schon etlichen Verwahrten, welche die Freiheit nie wiedersahen, wohl auch getrieben von Angst. So setzte ich das Pflänzchen einer Interessengemeinschaft. So entstand die IG „Fair-wahrt?“.
Ich schliesse mit der Bitte an Euch alle, uns weiterhin mutig und entschlossen dabei zu helfen, einerseits juristisch unsere Ziele verfolgen zu können und besonders auch, um von möglichst vielen gerechten Menschen gehört zu werden! Auf dass vielleicht eines baldigen Tages manche hilflos hinter Gittern resignierende Mitmenschen ihre Freiheit doch noch wiederfinden können.
Es ist im Interesse des Gemeinwohles! Man bedenke die empirisch erhobenen sehr hohen Anteile an sogenannten false positives bei Gefährlichkeitsprognosen (je nach Studie ca. 70-90%!). Schon wegen den hunderten von Millionen an eingesparten und klüger für Frühprävention verwendeten Kosten würden Alle profitieren.
Ich danke für Eure Aufmerksamkeit und wünsche allen einen anregenden und schönen Abend. Chömid guet häi!
Euer Beat Meier