Inhaftierung auf unbestimmte Zeit „verletzt Menschenrechte“

September 18, 2012

(Übersetzung aus www.bbc.co.uk vom 18.09.12 von BM)

Täter auf unbestimmte Zeit in Haft zu behalten ohne korrekten Zugang zu Rehabilitationskursen verstosse gegen die Menschenrechte, entschieden Europäische Richter. Das Europäische Menschenrechtsgericht beklagte „fehlende Recourcen“ als Grund dafür, dass drei Männer auf solche Kurse warten mussten, bevor ihre Entlassung geprüft werden konnte. Sie erhielten zwischen £12’OOO und £16’OOO für Kostenvergütung und Entschädigung.Die Regierung, welche die Urteile aufhob, wird gegen den Gerichtsentscheid appellieren.

Der Justizsekretär Chris Grayling sagte im Unterhaus: „Ich bin vom Entscheid sehr enttäuscht. Das ist kein Thema, bei dem ich den Willen des Gerichts, Entscheide zu fällen, begrüsse.“ Über 6’OOO Gefangene in England und Wales sind wegen solcher Urteile in Haft. Mehr als 3’500 darunter sind schon über die Zeit ihrer ursprünglichen Strafe in Haft und viele davon könnten nun für Entschädigungen berechtigt sein.

Risiko in Betracht gezogen

Im Jahre 2005 wurde gegen drei Männer Haft auf unbestimmte Zeit zum Schutze der Öffentlichkeit angeordnet (sogenannte IPPs) Diese (Art) Urteile, welche durch die Labour‑Regierung 2003 eingeführt wurden, sind für Straftäter gedacht, bei denen man davon ausgeht, dass sie solange hinter Gittern bleiben sollten, bis sie keine Gefahr mehr darstellen, selbst wenn sie dadurch länger als ihre ursprüngliche Strafe eingesperrt bleiben. Allerdings gab letztes Jahr die Regierung bekannt, dass sie diese (Art) Urteile wieder aufheben wird.

Straftäter sitzen eine Mindestdauer der durch das Gericht ausgefällten Strafe ab, wonach sie bei der zuständigen Behörde („Parole Board“) vorzeitige Entlassung beantragen können. Diese wird nur dann gewährt, wenn der Täter nicht länger für gemeingefährlich erachtet wird. Die drei Männer klagten beim EMRK, dass ihr Recht auf Freiheit verletzt worden sei, indem sie (zu lange) nicht zu einem Kurs zugelassen wurden, bei dem sie Veränderung ihres Verhaltens hätten aufzeigen können. Zuvor war ihre Sache durch das Oberhaus (House of Lords) zurückgewiesen worden.

Brett James, verurteilt zu 2 Jahren wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung, war wegen Schlägerei, Rowdytum, ordnungswidrigem Verhalten, Rassismus und Tätlichkeiten mit Verletzungsfolge vorbestraft.
Nicholas Wells wurde nach Verletzung von Auflagen in die Haft zurückversetzt. Er hatte 12 Monate kassiert für versuchte Beraubung eines Taxichauffeurs.
Jeffrey Lee bekam 9 Monate Gefängnis für Sachbeschädigung unter Alkoholeinfluss in einer Wohnung, in welcher sich seine Ex‑Frau und seine Kinder aufhielten. Er war wegen Tätlichkeiten mit Verletzungsfolge und Sachbeschädigung vorbestraft.

„Drakonische Massnahmen“

Die Richter in Strasbourg sagten: „Es ist klar, dass die Verzögerungen (der Zulassung zu Rehabilitationskursen) auf mangelnde Ressourcen zurückzuführen sind.“ Sie fanden, dass die ungenügenden Ressourcen „die Konsequenz sind aus der Einführung drakonischer Massnahmen; Haft auf unbestimmte Zeit, ohne die dafür nötige Vorplanung und ohne realistische Beachtung der Folgen solcher Massnahmen“. Die Dauer der Überhaft sei „erheblich“, indem die Kläger ohne Zugang zu den nötigen Programmen (Kursen) etwa 2½ Jahre über die Strafdauer inhaftiert blieben.

Das Gericht in Strassburg verpflichtete die Regierung in England zudem zur Zahlung von insgesamt £14’000 für Entschädigung und fast £30’000 für Kosten und Spesen.

Ein Sprecher des Justizministeriums sagte: „Der Schutz der Öffentlichkeit wird nicht geschmälert ‑ das Urteil sagt nicht, dass Haft auf unbestimmte Zeit ungesetzlich sei und es bedeutet nicht, dass Gefangene, welche heute in einer IPP (Haft auf unbestimmte Dauer) sind, entlassen werden müssen“. „Die Regierung hat schon bekannt gegeben, dass das komplexe IPP‑System durch ein neues Regime mit hartem, fixem Strafrahmen ersetzt werde. Dies wird für gefährliche Kriminelle lebenslange und für andere längere Haftstrafen mit härteren Bedingungen für vorzeitige Entlassung bringen.“

Juliet Lyon vom Gefängnis‑Reform‑Fonds verlangt vom Justizsekretär Grayling, die Fälle der 3’500 Menschen in Oberhaft zu überprüfen. „Es ist beschämend, dass so viele Menschen inhaftiert sind, nicht für etwas, das sie getan haben, sondern für etwas, das sie vielleicht in Zukunft tun könnten“, sagt Frau Lyon weiter.

„Viele dieser Gefangenen verbringen in jahrelanger Ungewissheit während sie in tristem Dasein in überfüllten Gefängnissen irgendwie ihre Ungefährlichkeit beweisen können sollen.“

Gegen das Urteil aus Strassburg kann innert 3 Monaten Rekurs erhoben werden.