Bulletin 3
Bisher:
Versand: Mitte Juli versandten wir erstmals Spendenaufrufe. Über 200 Briefe gingen an Stiftungen, Organisationen, Institutionen und wohlhabende Private schweizweit.
Bis Anfang August erhielten wir daraus folgende Post:
19 Retouren mit dem Postvermerk Weggezogen, Nachsendefrist abgelaufen.
5 Antworten von kantonalen Swisslos-Verwaltungen, davon 3 mit einem Hinweis auf Weiterleitung unseres Anhiegens zwecks
Bearbeitung und 2 Absagen.
2 Briefe von Gönnerinnen je mit Glückwünschen und der Ankündigung einer Spende (davon eine schon da)
Spenden: Aus dem kürzlich erhaltenen PC-Auszug für den Kalendermonat Juli gingen folgende Spendeneingänge hervor:
Fr. 100.00 von einer der oben erwähnten GönnerInnen,
Fr. 120.00 von zwei weiteren Gönnern (beides Bekannte des Schreibers).
Wir wussten, dass wir nicht mit einem Glanzresultat rechnen konnten. Dennoch ist das bisherige Spendenaufkommen unter dem Strich natürlich enttäuschend. Immerhin decken die bis Ende August erhaltenen Fr. 220.00 gerade in etwa die Kosten der Spendenaufrufe (B-Porto, Material). Jeder weitere daraus resultierende Franken ist dann ein Nettobeitrag an unsere Unkosten. Zudem wurde bisher mündlich von zwei weiteren Seiten eine Spende angekündigt. Und es ist Ferienzeit und durchaus möglich, dass noch die eine und andere zusätzliche Spende eintrifft.
Der Schreiber hat die Kosten bislang aus seinen begrenzten Mitteln bestritten und wird dies weiterhin tun, solange ihm dies möglich ist. Wir rufen alle, die das noch nicht getan haben, dazu auf, in Eurem Bekanntenkreis aktiv zu werden und, wo zumutbar, für unsere Sache um Unterstützung zu werben.
Ein Rechtsanwalt aus Zürich von hoher Reputation hat uns inzwischen seine Hilfe angeboten. Eingeschränkt zwar hinsichtlich seiner verfügbaren Zeit, aber immerhin liess er sich schon vorsorglich bevollmächtigen und kündigte einen Besuch „so bald wie zeitlich möglich“ an. Derzeit weilt er noch in seinen Sommerferien. Ich brauche nicht zu betonen, wie potentiell wertvoll dieses Angebot für uns ist! Wollen wir auf rechtlichem Weg (einen anderen gibt es nicht!) etwas hinsichtlich unserer Ziele erreichen, dann ist ein potenter Anwalt das A und 0!
Unsere Homepage wird nach wie vor von Fuchur (Künstler-Name des Administrators) in vielen Stunden Fronarbeit betreut und ausgebaut. Alle unsere Schriftsachen sind auch auf der Homepage (www.verwahrung.ch) abrufbar, so auch dieses und die bisherigen Bulletins.
Immerhin offenbart der erste ganze Monat der Existenz unserer Website eine recht beachtliche Statistik:
Hits: 16’965, Visits: 626
Diskussions-Blog: Leider warten wir immer noch auf erste Beiträge von Dritten; bisher war da hauptsächlich „Fuchur“ aktiv mit Hinweisen und Links auf interessante Medienartikel und TV-Sendungen, sowie mit eigenen Kommentaren zu solchen. >>>zum Blog
Online-Formular: bisher gewannen wir vier Gönner und einen Teilnehmer über unser Online-Formular.
Teilnehmer/Gönner: Nach heutigem Stand zählt unsere Interessengemeinschaft 17 Gönner und 19 Teilnehmer, total also 36 Personen. Das mag noch eine kleine Zahl sein, ist aber sicherlich beachtlich für die kurze Zeit unserer Existenz! Leider war es uns bisher noch nicht möglich, die im letzten Bulletin angekündigte Werbeaktion durchzuführen; es ist Ferienzeit und wir müssen hinsichtlich der hier intern geplanten Aktion noch grünes Licht von Seiten der Verantwortlichen hier in der JVA Pöschwies abwarten. Erst danach wollen wir sämtliche Anstalten einstweilen der deutschsprachigen Schweiz anschreiben.
Nachtrag vom 20. August 2011: Vor wenigen Tagen erhielten wir nun die Bewilligung zum Aushang unseres Werbeplakats auf allen Wohngruppen und Abteilungen der JVA Pöschwies, sowie in den Warteräumen beim Sozialdienst, dort inklusive Auflage unserer Werbebroschüre mit Anmeldetalon. Inzwischen hat sich darauf ein erster Interessent gemeldet.
Daraufhin werden nun an alle Anstalten der Deutschschweiz (leider verfügen wir noch nicht über eine französische Version unserer Unterlagen), bzw. an deren Leitungen Unterlagen versandt, zusammen mit einem Gesuch um für die Gefangenen sichtbaren Aushang unseres Werbeplakats.
Aktuelles:
Professor Reinhard Merkel: Den für unsereinen wohl wichtigsten Medienbeitrag der letzten Wochen stellte das (mehrfach wiederholte) Gespräch in der Sendung Sternstunde Philosophie auf SF1 zwischen der Moderatorin Barbara Bleisch und dem deutschen Strafrechtler und Rechtsphilosophen Reinhard Merkel dar. Noch nie in den vergangenen Jahren habe ich jemanden öffentlich derart deutliche Worte über unser Strafrecht sagen hören, ganz besonders gegen die heutige schweizerische Verwahrungspraxis!
(Wer dazu die Möglichkeit hat, dem empfehle ich unbedingt die Bestellung der DVD mit der Sendung bei:
Schweizer Radio und Fernsehen, Sternstunde Philosophie, 8052 Zürich oder hier abrufbar.)
Fuchur hat sich die Mühe gemacht, das Gespräch zu transkribieren. (Vor allem für jene unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, welche die Sendung vielleicht nicht sahen, wird im gedruckten Bulletin ab Seite 3 unten das Gespräch wenigstens in wesentlichsten Teilen zusammenfassend veröffentlicht. Ganzer Text hier! Wir konnten inzwischen die Postanschrift von Professor Merkel ausfindig machen und werden uns demnächst bei ihm melden: Professor Dr. jur. Reinhard Merkel, Fakultät für Rechtswissenschaft Rothenbaumchaussee 33 D-20148 Hamburg)
(siehe auch Blog)
Die Wahnsinnstaten eines freien Bürgers in Norwegen: Wir von der IG möchten diese schrecklichen Nachrichten gewiss nicht für unsere Sache instrumentalisieren, auch wenn sich aus unserer Sicht der Hinweis aufdrängt, dass dieser Mensch seine unsäglichen Pläne als freier, nicht vorbestrafter Bürger Norwegens ausheckte und umsetzte. Wir möchten vielmehr all der Opfer gedenken und ihren Angehörigen gedanklich unser tiefstes Mitgefühl übermitteln. Könnte so etwas auch in der Schweiz geschehen? Niemand kann dies mit Sicherheit beantworten. Wir können nur hoffen, dass dies nicht passiert und dass, so oder so, die beispielhaften Reaktionen der Norwegerinnen und Norweger auf das unfassbare Geschehen auch für unsere Gesellschaft eine Lehre sein wird.
Unerfreuliches…
Sanktion: Der Betreiber der Anlaufstelle unserer IG wurde am 7. Juli rapportiert, nachdem ein IG-Teilnehmer einer anderen Wohngruppe anlässlich des Kioskeinkaufs beim Warten vor dem Kiosk im Vorbeigehen – unter den wachsamen Augen des Kioskbegleiters – einen Umschlag mit 50 Franken in meine Einkaufstasche fallen liess. Der Betreffende wollte einen Beitrag an die Unkosten der IG leisten. Das hatte er in einem Brief tags zuvor in Aussicht gestellt. Dieses gutgemeinte Angebot hatte ich unverzüglich auf ebenso normalem internem Postweg dankend abgelehnt und auf die Möglichkeit verwiesen, mittels eines Zahlungshausbriefs eine Spende auf das Konto der IG überweisen zu lassen. (Der Schreiber möchte an dieser Stelle auch noch einmal auf die gültige Hausordnung und auf den von allen Teilnehmern akzeptierten Verhaltenskodex verweisen, in welchem vor unautorisiertem Austausch von Botschaften gewarnt wird.)
Da ich diese nun unverhofft doch stattgefundene Geldübergabe angesichts der flinken Beine des Betreffenden einerseits und meiner Gehbehinderung andererseits, nicht verhindern konnte, stellte ich mich beim anschliessenden Rapport auf den Standpunkt, dass ich dafür nicht zu sanktionieren sei. Immerhin wusste der Gruppenleiter aus der Lektüre des erwähnten vorgängigen Briefverkehrs über meine Haltung hinsichtlich einer Geldübergabe Bescheid und ich hätte denn auch keine andere Wahl gehabt, als ihm nach der Rückkehr vom Kioskeinkauf den Umschlag auszuhändigen. Doch dazu bekam ich gar keine Gelegenheit, denn der Rapport erfolgte direkt nach der Rückkehr in die ASP.
Trotzdem wurden sowohl der betreffende Teilnehmer als auch ich je mit Fr. 20.- gebüsst. Dagegen erhob ich Rekurs an die Justizdirektion, worauf diese die Gegenseite zu einer Stellungnahme aufforderte. Eine solche traf mittlerweile ein. Sie enthielt u. a. auch das komplette 30-seitige lnsassenstammblatt über meine Person, inklusive eine 20 Seiten lange Liste sämtlicher meiner Besuche seit meinem Eintritt hier vor knapp 14 Jahren!
In der Aufstellung der bisherigen Rapporte waren u.a. drei Einträge aufgeführt, die auf einen einzigen Rapport zurückzuführen waren, gegen welchen ich seinerzeit mit Hilfe meines Rechtsanwalts erfolgreich rekurriert hatte. Aus den einzelnen Rechtsmittelschritten hatte nunmehr die Anstaltsleitung gleich zwei zusätzliche Einträge gemacht, welche sich individuell jedoch darstellten wie zwei weitere Strafrapporte! Damit nicht genug: es fehlte jeglicher Hinweis darauf, dass die ursprüngliche Sanktion schlussendlich aufgrund unseres erfolgreichen Rekurses eingestellt werden musste (wodurch natürlich alle drei Einträge hinfällig wurden und nach Meinung des Schreibers eigentlich gelöscht gehörten!).
Innert Frist schrieb ich sodann eine 16seitige Replik und warte nun auf den Entscheid. Es geht nicht (allein) um die zwanzig Franken Busse. Es geht um grundsätzliche Fragen: Muss ein (verwahrter) Gefangener hinnehmen, dass er auch dann sanktioniert wird, wenn eigentlich seine Unschuld an einem Vorkommnis unbestritten ist?
Als Vergleichsbeispiel bediente ich mich eines Vorfalls, bei welchem zwei Gefangene wegen „Schlägerei unter Gefangenen“ gleichermassen sanktioniert wurden, nachdem sämtliche Zeugen, inklusive der Werkmeister, bestätigen konnten, dass der Gefangene A unprovoziert und hinterrücks vom Gefangenen B tätlich angegriffen worden war, wobei sich Gefangener A nicht einmal zur Wehr setzte.
Ebenso stellte ich die Frage, ob es ein Gefangener hinnehmen müsse, dass bei den in seinem Stammblatt aufgeführten Sanktionen jeweils einzig die Version des rapportierenden Aufsehers, jedoch nie irgendwelche von Seiten des Rapportierten oder von dritter Seite eingebrachte relativierende Fakten vermerkt werden? Und dass konsequenterweise bei einem alifälligen Urlaubsgesuch daraus jeweils unausgewogene Schlüsse gezogen werden könnten (so wie aus einem Rapport wegen „Schlägerei“ gemäss vorigem Beispiel unter Umständen zu Unrecht ein „Hang zu Gewalttätigkeit“ abgeleitet werden könnte).
Schneckenpost? Briefe von einem und an einen Gefangenen in der Pöschwieser Forensisch-Psychiatrischen Abteilung (FPA) sind unter Umständen – für eine Entfernung von ca. 30 Metern- wochenlang ‚unterwegs‘. Jedenfalls schrieb ein unter Artikel 59 verwahrter Gefangener am 20. April dieses Jahres einem befreundeten Mitgefangenen in der benachbarten Abteilung einen Brief (auf dem normalen Zensurweg), den dieser erst am folgenden 2. Mai erhielt. Dessen Antwort brauchte dann sogar geschlagene drei Wochen bis zur Aushändigung an den Empfänger in der FPA.
IG-Teilnahme mit PPD-Therapie unvereinbar? Der Mitgründer l.R. (er hatte sich seinerzeit dazu anerboten, seinen Namen offen zu legen) hat mit Bedauern seinen sofortigen Austritt aus unserer Interessengemeinschaft bekanntgegeben. Seine PPD-Therapeutin fände es „nicht vereinbar mit den ‚Therapiezielen“, wenn er sich mit uns engagiere. Er sagte, dies müsse er respektieren, „ich musste mich zwischen Therapie und IG entscheiden,“ sagte er mehrmals. Er verneinte allerdings die Frage, ob er von Seiten seiner Therapeutin ganz konkret vor die Wahl: ‚IG-Teilnahme oder Therapie´ gestellt worden sei. Auch wir bedauern seinen Austritt, respektieren aber natürlich seinen Entscheid und wünschen ihm weiterhin viel Kraft und Geduld.
…bis Inakzeptables
Schreibverbot: Einer der Gründer unserer IG schrieb unlängst zwei Beschwerden gegen Angehörige des Anstaltspersonals wegen Vorkommnissen, welche er als Unrecht empfand. Wie er es sich von früher gewohnt ist, schrieb er in eher grobschlächtigem Stil und brachte seine ehrliche, wenn auch nicht nur schmeichelhafte Meinung zu Papier. Die Beschwerden wurden nicht behandelt; Kraftausdrücke und Unhöflichkeiten akzeptiere man nicht, hiess es in der kurzen Antwort. Wenn er seine Beschwerde korrekt formuliere, könne er mit deren Behandlung rechnen.
Also wandte er sich an die Anlaufstelle unserer IG und bat um Hilfe beim korrekten Formulieren seiner Beschwerden. Ich tat dann, was ich in dieser Anstalt für sehr Viele schon hunderte Male tat; ich verfasste für den Mann die Beschwerden, strikte gemäss seinen Angaben, korrekt in Form und Ton. Wie immer natürlich ohne irgendein Entgelt. Ich riet ihm sogar dazu, sich für seine Kraftausdrücke, falls diese jemandes Gefühle verletzt haben sollten, zu entschuldigen. In voller Kenntnis des Inhalts und Gutheissung der Formulierungen unterzeichnete er sie und reichte sie ein.
Beides wurde denn auch behandelt, jedoch warnte der unterzeichnende Chef Vollzug (Dr. Noll) in seiner Antwort an den Mitgefangenen, dass Hilfe durch Mitgefangene in mündlicher Form zwar toleriert würde „obwohl damit, genau betrachtet, ein Rechtsgeschäft unter Insassen und damit ein Verstoss gegen § 20 Abs. 1 unserer Hausordnung vorliegt“ Jedoch würde das Schreiben-lassen ganzer Beschwerdeschriften oder dergleichen durch einen Mitgefangenen künftig Disziplinarmassnahmen nach sich ziehen.
In den folgenden Tagen wurden wir beide zum Gruppenleiter zitiert, welcher uns, offiziell und schriftlich festgehalten, das Schreiben für einen Mitgefangenen, bzw. umgekehrt, unter Androhung von Sanktionen verbot. Mir wurde zudem strikte verboten, irgendwelche Unterlagen von Mitgefangenen, auch zeitweilig, auf meiner Zelle zu haben.
Einstweilen richtete ich nun einen Antrag an den Vollzugschef, worin ich diesen darum ersuchte, auf sein Verbot zurückzukommen. Anderenfalls ich um eine rekursfähige Verfügung ersuchte. Das Verbot würde zum Beispiel bedeuten, dass jene Gefangenen, welche der deutschen oder einer der anderen offiziell erlaubten Sprache, oder gar des Schreibens schlechthin, nicht oder zu wenig mächtig sind, sich überhaupt nicht mehr gegen Unrecht würden wehren können. Das Personal wird sich nicht zu solcherart Hilfe hergeben und bekanntlich sind die Zuständigen des Sozialdienstes schon zeitlich nicht in der Lage dazu.
Die Folgen dieser Verbote sind jedoch, gerade im Hinblick auf meine Tätigkeit für unsere Interessengemeinschaft, noch weitreichender. Es wird mit Sicherheit noch zu reden geben.
Unterschlagung von Briefpost? Anfang Juni dieses Jahres schickte ich in meiner Eigenschaft als Betreiber der Anlaufstelle unserer IG demselben FPA-Gefangenen auf dessen Wunsch unsere Unterlagen (zusammen mit ein paar privaten Zeilen). Bei einem Treffen auf dem Weg vom Besuchspavillon Ende Juli erfuhr ich von ihm, dass er weder den Brief noch die Unterlagen je bekommen habe.
Nach so langer Zeit muss wohl davon ausgegangen werden, dass diese Sendung entweder auf wundersame Weise auf den rund 30 Metern zwischen den beiden Abteilungen ‚verschwand‘, oder aber es handelt sich um einen unerlaubten Eingriff in die Rechte auf freien Briefverkehr zweier schutzbefohlener Insassen.
Die Leitung der IG FAIR-WAHRT? überlegt sich jetzt rechtliche Schritte.
Mitteilung eines Teilnehmers: Einer der frühesten Teilnehmer unserer IG hatte auf Ersuchen eine Audienz mit dem Pöschwieser Anstaltsdirektor, Herrn Graf. Gemäss seiner Mitteilung an uns soll ihm gegenüber der Direktor bestätigt haben dass der Kantonsrat 3.5 Mio. Franken gesprochen hätte zum Bau einer Anstalt für Verwahrte ausserhalb der Pöschwies.
(Jeder Teilnehmer kann uns interessante Informationen, die er von Dritter Seite erhält, mitteilen oder auch eigene kurze Beiträge für unser Bulletin verfassen. Der Vollständigkeit halber müssen wir darauf hinweisen, dass wir solche von Teilnehmern übermittelte
Informationen und Beiträge in der Regel nicht überprüfen können.)